Es geht wieder los. Und das Schlimmste steht erst noch bevor. So etwa lautet der Tenor, wenn man in diesen Tagen mit Künstlern und Kulturverantwortlichen spricht. Sachsen steht vor dem dramatischsten Einbruch seiner Landesfinanzen seit 1990, und was jetzt an Einschnitten zu erwarten ist, dürfte die Verteilungskämpfe und Sortierungsprozesse der Neunziger Jahre noch übertreffen. Die Demonstration gegen die Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich in der Vorwoche deutete es ebenso an wie die fast zeitgleich bekannt gegebenen Bewirtschaftungsmaßnahmen in den Ministerien für Kultus, Wissenschaft und Kunst.
Von den 100 Millionen Euro der bereits im laufenden Haushalt zu erbringenden Einsparungen, die der rigorose Finanzminister Georg Unland (CDU) den Fachministerien abverlangt, muss das für Wissenschaft und Kunst mit 23,9 Millionen ein knappes Viertel erbringen. Ministerin Sabine von Schorlemer ist dabei spürbar um eine diplomatische Balance zwischen Kabinettsloyalität und Kulturinteressen bemüht. Sie spricht einerseits von der Gesamtverantwortung, die ihr Verzichtsleistungen abverlange, andererseits von Zukunftsbereichen, die ihr Haus vertritt. Denn Bildung, Wissenschaft und Forschung gehören zu den wichtigsten Ressourcen Sachsens, und die grundsätzliche Orientierungsfunktion der Kultur wächst mit der Krise des materialistischen Denkens. Die Kunstministerin versucht deshalb, Fehler wie bei der Jugendhilfe im benachbarten Sozialministerium zu vermeiden. Man wolle „Bereiche identifizieren, in denen man sparen muss und andere, wo das nicht vertretbar ist“, sagt sie.
Mit einem Anteil von knapp zehn Prozent an der Bewirtschaftungsauflage fallen die Kürzungen von 2,1 Millionen Euro im Bereich Kunst und Kultur für dieses Jahr denn auch relativ moderat aus. Sie machen auch maximal einen Anteil von 10 Prozent an der bisherigen Zuschusshöhe der einzelnen Etatposten aus, bei Musikschulen nur 8 Prozent. Nach Informationen des Sächsischen Musikrates liegen sie bei den Festivals und institutionell geförderten Einrichtungen mit 4,75 Prozent nochmals darunter. Die endlich auch von der CDU wieder entdeckte Industriekultur bleibt von Kürzungen ganz verschont. Wie die DNN berichtete, müssen die drei vom Freistaat direkt getragenen Bühnen mit 700 000 Euro, die Museen mit 300 000 und die Musikschulen mit 400 000 Euro weniger auskommen. Das Ministerium selbst will mit einem überproportionalen Verwaltungskostenanteil von 19 Prozent ein Signal setzen, das sind allein 1,3 Millionen Euro. Besonders sensibel ist der Etatposten der Allgemeinen Kunst- und Kulturförderung, aus dem vor allem die Landeskulturverbände schöpfen. Hier fallen die Einschnitte mit 700 000 von bislang 6,2 Millionen Euro spürbar aus.
Torsten Tannenberg, Geschäftsführer des Sächsischen Musikrates, erkennt das „wohlwollende Entgegenkommen“ und die faire Behandlung bei bisherigen Gesprächen mit der neuen Ministerin an. Am Dienstag dieser Woche wollen die Landeskulturverbände die Folgen der Kürzungsauflagen beraten. Im Gesamtmaßstab hält Tannenberg zumindest in diesem Jahr Kürzungen noch nicht für notwendig und verweist auf die Haushaltreserven, Bürgschaftsverpflichtungen aus dem Landesbank-Desaster oder Kostensteigerungen beim City-Tunnel Leipzig, über die gar nicht diskutiert werde.
Ähnlich argumentiert die Schorlemer-Amtsvorgängerin Eva- Maria Stange, die nun für die SPD im Landtag sitzt. Sie mache den Fachministerien gar keinen Vorwurf, wohl aber dem Ministerpräsidenten und der Landesregierung insgesamt, die sich gemeinsam über Prioritäten hätte verständigen müssen. Zumindest im laufenden Jahr wären Bewirtschaftungsmaßnahmen in dieser Höhe vermeidbar gewesen, verweist sie auf die nach ihrer Meinung aufschiebbaren Ausgaben für den Pensionsfonds und die Schuldentilgung. Man würde so ein halbes Jahr Zeit gewinnen, um sich klug auf die drastischen Einschnitte des kommenden Haushalts vorzubereiten, greift Eva-Maria Stange diese Argumente auf. „Mit verbleibenden Spielräumen ist auch in Krisenzeiten vernünftige Politik zu gestalten“, sagt sie. Ein Verschuldungsverbot beispielsweise aber lähme jede inhaltliche Diskussion. Auch Antje Hermenau, Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Landtag, hatte mit Vehemenz und Sachkenntnis auf die unangetasteten Haushaltreserven des Freistaates hingewiesen.
So sehr die Kämmerer in den Kommunen bereits Alarm schlagen, so relativ ruhig ist die Lage noch in den Kulturräumen. Einmal mehr erweist sich das Kulturraumgesetz als ein stabilisierender Faktor, solange der Finanzminister nicht auch an Leistungsgesetze wie dieses herangeht. Von Prof. Unland gibt es bereits solche Andeutungen. Entscheidungsträger in den Rathäusern und Landratsämtern begreifen offenbar zunehmend, dass Kultureinrichtungen angesichts der weiteren Ausdünnung des ländlichen Raums wichtiger werden. Das Solidarmodell des Kulturraumgesetzes bietet meist die einzige Chance für deren Erhalt. Im Kulturraum Mittelsachsen-Erzgebirge freut sich Sekretär Wolfgang Kalus jedenfalls, dass die Landräte Volker Uhlig und Frank Vogel bislang zu ihren Finanzierungsverpflichtungen stehen. Auch seine Kollegin Diana Fechner im Raum Elbtal-Sächsische Schweiz ist verhalten optimistisch. Man habe die Finanzierung für 2010 erst einmal „gut über die Bühne bekommen“.
Dennoch hält Jürgen Uwe Ohlau, Präsident des Sächsischen Kultursenats, Strukturreformen für unverzichtbar. Als Mitautor des Theatergutachtens von 2007 bleibt er beispielsweise bei der Forderung, pro Kulturraum nur noch ein Theater zu erhalten. Annaberg und Freiberg/Döbeln lehnen dies nach wie vor strikt ab. Andererseits sei eine „Mindeststruktur“ in der Fläche unverzichtbar, allein schon deshalb, um Kristallisationspunkte für ein künftig verstärktes Ehrenamt zu erhalten. „Der Personal- und Sachkostenaufwand ergibt sich aus der Aufgabe, nicht aus der demografischen Entwicklung“, distanziert er sich von linearen und proportionalen Kürzungsplänen angesichts schrumpfender Einwohnerzahlen. Und bevor man neue Museen plane, sollten bewährte Strukturen erst einmal erhalten werden, spitzt er unausgesprochen gegen Luft- und Porzellanschlösser und andere Tempel der Sächsischen Nation.
Ein bemerkenswertes Zeichen setzte Ende Februar der Besuch des Kultursenats im Landtagsausschuss für Hochschule, Medien und Kultur. Eine Premiere, die vom Ernst der Lage inspiriert war, aber auch vom präventiven Gedanken, gerade deshalb keine Blockaden zwischen Regierungsparteien und Opposition aufzubauen. Denn Kunstministerin Sabine von Schorlemer kann die Rückenstärkung einer Allianz aller Kulturpolitiker dringend gebrauchen. Zunächst ist bis zur Kabinetts-Haushaltklausur im Juni hinter den Kulissen ein Hauen und Stechen angesagt, wenn der Freistaat ohne neue Schuldenaufnahme einen Absturz der Einnahmen um 1,7 Milliarden Euro verkraften will. Die Ministerin ist eine kluge Frau und hat beispielsweise mit ihrer Position zum UNESCO-Welterbe schon Courage bewiesen. Aber sie ist im Amt noch unerfahren und gleich zu Beginn in schweren Sturm geraten. Als Parteilose verfügt sie auch nicht über eine Hausmacht und gewachsene Verbindungen. Und es ist angesichts der Person von Finanzminister Unland keineswegs ein Vorteil, dass der beinharte und wirtschaftsnahe ehemalige Freiberger Bergakademie-Rektor ein Hochschulprofessor ist wie sie.
Eine entsprechende Frage beantwortet die Kunstministerin auch ausweichend. Sie kündigt aber an, in den Verhandlungen energisch auf die gesamtgesellschaftlichen Folgen von unverhältnismäßigen Kürzungen in ihrem Verantwortungsbereich hinzuweisen. Dabei hat sie offensichtlich klare Vorstellungen von „Schonbereichen“ und Prioritäten, zu denen eben Lehre und Forschung und die alles tragende Kultur gehören.
Eine Textfassung des Artikels ist am 16.3. in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
(Foto: SMWK)