Ein Netzwerk von Alumni einer Hochschule zu bilden, erscheint allein schon deshalb interessant, da die Interessenlage der Hochschule und der Ehemaligen reizvolle Verknüpfungspunkte bilden. So war das zweite Treffen der Alumni der Musikhochschule Dresden nicht nur dazu geeignet, in alten Erinnerungen zu schwelgen – und dazu gab es angesichts der politischen und kulturellen Entwicklung im Osten reichlich Anlass – sondern auch die Fortentwicklung der Hochschule sehend und hörend zu bestaunen.
Glanzlicht dieser Wiederbegegnungen war der Konzertabend mit Andreas Boyde im neuen Konzertsaal der Hochschule. Speziell auf ihn freuten sich viele Zuhörer im ausverkauften Rund des Saales, ist der nunmehr in London lebende Pianist doch im nun nicht mehr betriebenen Bau an der Blochmannstraße ausgebildet worden. Eine Serie mit Alumni-Konzerten soll semesterweise installiert werden, zudem gründete sich am vergangenen Wochenende ein Alumniverein und, wie könnte es anders sein, ein Orchester aus Ehemaligen.
Für seinen Klavierabend hatte Boyde ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt, welches im ersten Teil eher nach intensiv-formender Haltung verlangte und erst nach der Pause pianistisches Feuerwerk abbrannte. Schön, dass Boyde zu Beginn eine Haydn-Sonate ins Feld führte. Damit bescherte er nicht nur sich selbst einen vergnüglichen Einstieg, sondern überraschte das Publikum mit einer überdeutlich artikulierten Interpretation: Boyde zelebrierte das Adagio als Perle der Anschlagskultur und ließ das Finalthema sich genüßlich im harmonischen Maschendrahtzaun verfangen. Damit war aber auch der fröhlich-offenherzige Teil des Konzertes passé.
Es folgte eine nur exzellent zu nennende Interpretation der drei späten Intermezzi von Johannes Brahms. Ohnehin dürfte man Boyde zu den wenigen Pianisten unserer Zeit rechnen können, die Brahms nicht nur technisch bewältigen, sondern den auch intellektuell höchst fordernden Stücken auf den Grund folgen können. Mit einer hervorragend ausgeformten Piano-Kultur näherte sich Boyde den grüblerischen Untiefen und brachte den Gedankenstrom nie zum Versiegen. Dass genau in diesen Stücken schon der Nährboden für das 20. Jahrhundert bereitet ist, bewies Boyde eindrucksvoll mit der folgenden Sonate Opus 1 von Alban Berg. Anstelle jugendlichen Aufbruchs wird die Suche nach Ausdruck, Form und Sprache klar zum Thema erhoben. Boyde differenzierte zwischen der Strenge der Form und der freien Kantabilität dieses Meisterwerks und ordnete das Werk genau in den Grenzbereich zwischen in zarter Zerbrechlichkeit verschwindender Romantik und neuen musikalischen Welteroberungen ein.
Dem Jubilar Robert Schumann war dann der zweite Konzertteil gewidmet; neben den von Boyde selbst rekonstruierten frühen Schubert-Variationen zog der "Carnaval" Opus 9 in den Bann. Gutgelaunt flitzte Boyde durch den romantischen Bilderbogen und nahm die zahlreichen Agitato-Presto-Vivo-Vorschriften des Leidenschaftlers derart ernst, dass es dem Zuhörer überlassen blieb, nach Luft zu schnappen. In diesem Grenzbereich fühlte sich Boyde sichtlich wohl und formte überschwänglichen Ausdruck, gestützt von stets präsenter Kraft und Technik. Nimmt man dieses Erlebnis mit dem von Ruhe und Geist durchtränkten ersten Konzertteil zusammen, so darf man von einem sehr gelungenen musikalischen Gruß von Andreas Boyde an seine Ausbildungsstätte in Dresden sprechen – der überaus starke Applaus bestätigte dies.
Eine Textfassung des Artikels ist am 31. März in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
Foto Andreas Boyde: Suzie Maeder