Die Kette der Ausgrabungen an sächsischen Bühnen reißt nicht ab: „Faust“ in Radebeul, „Notre Dame“ an der Semperoper; nach der europäischen Erstaufführung von Gershwins „Pardon My English“ an der Staatsoperette dort nun ein kaum bekanntes Werk von Johann Strauß: „Prinz Methusalem“. Das schließt zudem den Dreiklang von Strauß-Entdeckungen in Leuben, wo bereits des Operettenkönigs „Carneval in Rom“ (2004) und „Das Spitzentuch der Königin“ (2007) herausgekommen sind.
Nun also junger Adel im Vorort der einstigen Residenzstadt. Das Stück war für eine französische Bühne geschrieben, kam aber 1877 in Wien heraus. In Sachsen ist es wahrscheinlich noch nie zu erleben gewesen. Die Schauspielerin und Regisseurin Adriana Altaras hat das nun geändert. Zwischen zwei Proben sprach sie mit Michael Ernst über ihr Sachsen-Projekt.
"Die Leute hier können alle Pointen setzen…" (Foto: Michael Ernst)
Sie sind durch und durch Künstlerin; nicht nur eine gefragte Regisseurin und Schauspielerin, sondern auch Autorin, Theatergründerin und haben erfolgreich in bekannten Filmproduktionen mitgewirkt. Nicht zuletzt waren Sie auch Interviewerin für Spielbergs Shoah Foundation und sind als Dozentin an der HdK in Berlin tätig. Wie kommt eine so bekannte und vielbeschäftigte Künstlerin denn an die Staatsoperette Dresden?
Zwei Wege führten hierher. Die Leitung der Staatsoperette hat meine „Fledermaus“-Inszenierung in Potsdam gesehen und offenbar sehr gemocht. Und ich habe in einer Zeitung etwas über dieses Haus gelesen, worin das unglaubliche Engagement für das Genre Operette beschrieben wurde, der Geist, der hier an diesem Haus herrscht – da stand für mich fest, ich möchte hier arbeiten. Mit diesem gemeinsamen Wunsch haben wir uns dann wohl auf halbem Wege getroffen.
Ihre erste Produktion hier wird eine Art Wiederentdeckung sein und setzt einen kleinen Johann-Strauß-Zyklus fort. Was reizt Sie an diesem Komponisten, dessen „Prinz Methusalem“ Sie sicherlich auch nicht kannten?
Ich mag Uraufführungen und überhaupt Neues. Da muss man keinen Kriterien gehorchen, kann viel ausprobieren und ist sogar gezwungen, dies zu tun. Im Vergleich zur „Fledermaus“ etwa, in der es ziemlich klar um eine Ehegeschichte geht, ein Psychodrama, ist „Methusalem“ viel verspielter. Das gefällt mir.
Die eigentliche Story ist ja schnell erzählt – ein junges Paar soll verheiratet werden, um zwei verfeindete Staaten zu einen –, aber dann gewinnt das Komödiantische, das Verspielte immer größere Bedeutung. Großartig! Und großartig ist auch die Musik, ich liebe diese tollen Einfälle.
Den Text hat Peter Ensikat für diese Produktion beinahe komplett umgeschrieben, wir haben es mit einer reduzierten Personage und natürlich ziemlich heutigen Anklängen zu tun. Aber das Poetische der Liebesgeschichte ist geblieben. Das schien uns sehr wichtig. Zur Entstehungszeit dieser Operette war ja das typisch Offenbachische en vogue, also reichlich Frivoles, auch ein bisschen Gaga und fast dadaistische Lautmalereien.
Ihr Bezug zur Gattung Operette, die in diesem Fall ja nah an der Opéra comique ist?
Ich mag das gern, sehr gern, mir gefällt dieser Charme. Zwar habe ich auch einige Opern inszeniert, den „Barbier“ und vor allem viele Barockopern, aber ich finde, dass die Operette heute noch mehr Geburtshilfe braucht. Das einzige Haus, das sich dafür so stark macht, ist das hier. Natürlich wird auch anderswo Operette gespielt, an den meisten Opernhäusern versucht man das jedenfalls. Aber dort fängt die Katastrophe meist schon damit an, dass die Sänger aus Korea oder von sonstwo kommen und dann Lehár sprechen sollen. Die singen wunderschön, aber sie können keine Pointe setzen.
Hier kommt man an und die Leute können alle Pointen setzen. Da herrscht schon ein ganz anderes Ausgangsniveau für die Arbeit. Hier kann man mit dem Genre wirklich noch arbeiten und ein Stück nicht bloß irgendwie über die Bühne bringen.
Wie anspruchsvoll ist „Methusalem“, dem ja eine gewisse Shakespeare-Haftigkeit nachgesagt wird? Romeo und Julia in umgekehrter Form sozusagen?
Das ist ja nun eine der größten Tragödien, die man sich vorstellen kann! Unser Stück ist von Anfang als Komödie angelegt, sowohl musikalisch als auch von der Story. Und in Ensikats Fassung wird das mit aktuellen Bezügen nochmal besonders betont. Die Worte sind relativ modern, die Handlung bleibt altbacken, wie sie nun mal ist.
Moderne Worte für relativ altbackene Handlung: "Prinz Methusalem" wurde von Peter Ensikat bearbeitet (Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert)
Ich denke, daran können junge Leute ebenso wie älteres Publikum ihre Freude haben. Denn es ist ein absolutes Fehldenken, dass Operette immer angestaubt sein muss. Im Gegenteil, die kann sehr frisch sein und viel Spaß machen. Ich habe hier am Haus und auch an der Semperoper viel angesehen, da war nichts Altbackenes bei.
Wussten Sie, dass „Methusalem“ 1932 unter Fritz Busch an der Semperoper lief?
O je, was für ein Datum! Aber es gab früher auch aufregendes Theater das muss gar nicht schlecht gewesen sein. Damals kannte man das, was die Gattung Operette erfordert. Es gab einfach Leute, die das toll bedienen konnten, die Singen und Tanzen verbinden konnten. So wie hier an der Staatsoperette, da gibt es niemanden, der sagt, er kann das nicht.
Welche Chance haben solche Formen der Unterhaltungskunst heute?
Na, das ist noch offen. Ich arbeite dran. Man muss das Genre mögen, so wie ein Marthaler zum Beispiel. Sonst sollte man es nicht zu inszenieren versuchen.
Es geht ja darum, die Leute zum Lachen zu bringen. Das ist viel schwerer als das Weinen, da reicht oft schon ein wenig traurige Musik. Aber Menschen zum Lachen zu bringen, ist wahnsinnig schwer.
Die Titelfigur war erst eine Hosenrolle, wurde später von Tenören und Bariton verkörpert. Sie haben alternierend besetzt – ist das nicht eine jeweils andere Interpretation?
Nicht unbedingt. Wir werden das nicht überbetonen, also keine Transe zeigen. Es bleibt dem Publikum überlassen, wie es das sieht. Eigentlich müsste man zweimal reingehen, denn es ist beides sehr reizvoll.
Sie haben mit Iris Berben, Hannelore Elsner, Sonja Kirchberger, Katja Riemann u.v.a. gearbeitet, zuletzt in „Die Gräfin“ auch mit Julie Delpy – aus diesen Erfahrungen heraus: Wie professionell wird in Dresden gearbeitet?
Sehr professionell! Ich fühle mich hier sehr wohl und bin immer wieder überrascht, was die Leute hier leisten. Überlegen Sie mal, wie oft hier gespielt wird! Und trotzdem sitzen die Doppelbesetzungen immer mit in den Proben, werden die Rollen gemeinsam entwickelt, sind alle höchst konzentriert. Das ist fantastisch.
Übrigens schützt Berühmtheit nicht vor Unprofessionalität. Hier am Haus ist vor allem die Bescheidenheit sehr berührend. Die Leute stehen hinter der Sache, das spürt man.
Wie sind die Arbeitsbedingungen am Haus, spüren Sie die kulturpolitische Debatte um den Neubau?
Selbstverständlich. Ich bin unbedingt für einen raschen Neubau! Wer, wenn nicht dieses Ensemble hätte sowas verdient. Das Publikum natürlich, das für hervorragende Auslastung sorgt. Ein erklärtes Ziel durch den Neubau könnte darüber hinaus lauten, weil wir den Neubau haben, müssen wir die Gattung Operette erst recht retten.
Ich als Jüdin würde noch einen Schritt weiter gehen: Wenn diese vielen Juden, die ausgewandert und umgekommen sind, noch hier lebten, hätte die Operette ohnehin einen anderen Stand. Das hat ja ganz viel mit ihnen zu tun gehabt, dieser Witz, diese Ironie. Etwas um die Ecke gedacht: Ein Neubau könnte auch eine Form der Wiedergutmachung sein, des praktizierten Gedenkens. Vielleicht trägt das Haus dann mal den Namen von Fritzi Massary oder von Friedrich Hollaender?