Eine Oper wollte er schreiben, um jeden Preis, auf jeden Fall. „Mein Morgen- und abendliches Künstlergebt heißt: Deutsche Oper“, so Schumann, der am 8. Juni vor 200 Jahren in Zwickau geboren wurde. Hier kam jetzt zur Eröffnung der Geburtstagfeierlichkeiten „Genoveva“, sein einziges abgeschlossenes Bühnenwerk, zur Aufführung.
Die Uraufführung 1850 in Leipzig war ein Misserfolg. Weder der Text, den der Komponist nach Motiven der Sage, angelehnt an Bearbeitungen durch Hebbel und Tieck, selbst geschrieben hatte, noch die Musik, würden der dramatischen Kunstform gerecht, zudem mangle es an Logik und dramaturgischer Stringenz. Das Urteil war gefällt. Es hat sich hartnäckig gehalten.
In den letzten Jahren hat sich die Sicht auf Schumanns Bühnenwerk verändert. Das Stück um die duldsame Genoveva und den verwirrten Außenseiter Golo, dessen unerwiderte Liebe zu ihr in Wahnsinn und mörderischen Hass umschlägt, scheint doch mehr zu sein als die verklärende Legende einer standhaften Gattin, deren funktionierender Kreuzrittergatte siegreich für den rechten Glauben ficht.
Dass unter mancher Textstelle doch Abgründe verborgen sein könnten, dass manch liedhaft melodiöse Passage doch nicht verbergen kann, welche Trauer, welchen Wahn und Schmerz sie zu besänftigen oder zu bannen sucht und manche schmetternde Attacke der Hörner auch ironisch gemeint sein könnte, davon ist das Zwickauer Team überzeugt. Auch davon, dass dieses Werk um einen Menschen, der an seinen Unvereinbarkeiten zwischen Wunsch und Vermögen zerbricht in Korrespondenz zum Leben seines Autors gehört und gelesen sein will.
Wenn sich in der Neuinszenierung die lyrische Ouvertüre zu leichter Dramatik wendet, dann sehen wir einen jungen Mann mit langem schwarzem Haar, der wild und gehetzt etwas in sein Tagebuch schreibt. Ein Sprung, er steht in Siegerpose auf dem Flügel, setzt sich einen Helm aus Papier auf und ficht wie ein wild spielendes Kind mit einem Degen gegen unsichtbare Feinde.
Das Unglück nimmt seinen Lauf für Golo (Fritz Feilhaber). Fotos: Peter Antukowitsch
So nimmt für jenen Golo, den Bastard, geduldet aber nicht gänzlich akzeptiert in der Gesellschaft des Erfolgsmannes Siegfried und seiner schönen blonden Frau, der First Lady in Madonnenblau, das Unglück seinen Lauf.
Eine multiple Persönlichkeit und ihre Erscheinungsformen. Was folgt in den vier Akten sind Kopfgeburten, mal mehr, mal weniger der Wirklichkeit verwandt. Am Ende wissen wir nicht mehr ob das Quartett der Hauptfiguren, Genovefa und Golo, Siegfried und Margaretha, die intrigante, giftige Verführerin, so wie die Stimmen eines Satzes, Sopran, Tenor, Bariton und Mezzosopran nicht Teile eines Ganzen sind, das zersprungen ist, wie ein Spiegel mit Rissen, in dem sich alles zeigt, schmerzhaft, gänzlich verzerrt.
Alle Räume, die Stefan Morgenstern für Jochen Biganzolis Inszenierung entworfen hat, sind Projektionsräume. Zunächst wie im Kino, in einer Show, da kann jeder König sein, auch wenn die Kronen nur aus Pappe sind.
Dann Golo und Genoveva in einem weißen, geschlossenen Raum, die Menschen und ihre Bilder von sich als Videoprojektionen, nur wer ein Abbild hat, ein öffentliches nach Möglichkeit, hat einen Beweis dafür, dass er etwas ist, dass er dazu gehört.
Die Bilder und ihr Trug, das ist ein Thema des Stückes, im dritten, ungelenkesten der vier Akte vor allem. In einemZauberspiegel, über eine mächtige Entfernung, sieht Siegfried den angeblichen Betrug der Gattin zu Hause. Wenn sich etwas dermaßen festgesetzt hat in Herz und Hirn, dann sind alle Gesetze außer Kraft. Raum und Zeit verschmelzen zu einem brennenden Punkt wie das gesammelte Licht im spiegelnden Brennglas. Dann ist es möglich, dass ein Mensch sich mehrfach sieht, dass Kinderangst den Erwachsenen erschrecken lässt und Träume gebiert, wie den vom Löffel der zu groß ist für den Brei, der sich niemals auslöffeln lässt.
"Raum und Zeit verschmelzen zu einem brennenden Punkt"
Es ist, als hätten in Zwickau Regisseur, Ausstatter und der Videokünstler Thomas Lippick mit einem Auge den Text der Oper gelesen, mit dem anderen Schumanns Tagebücher und mit beiden Ohren seine Musik gehört, und daraus ihr Konzept gefunden, das ein durchweg bestens motiviertes Ensemble glaubwürdig umzusetzen weiß.
Tobias Engeli steht am Pult, voller Einsatz für Schumann, Dramatik ohne Knalleffekt, Lyrismen in reichem Maß, die Spannung bleibt in diesem Theater der Bilder aus dem Geist der Musik. Chor und Orchester kommen an ihre Grenzen, das ist mitunter nicht zu überhören, kann aber am Ende nicht beeinträchtigen dass der Gesamteindruck überzeugt. Das Quartett der Solisten ist ein Glücksfall, selten finden musikalische und szenische Gestaltung so authentisch zusammen. Der Tenor Fritz Feilgaber ist als Golo ein Getriebener und Zerrissener, überzeugend in der temperamentvollen Darstellung, verblüffend in den Facetten seines Gesanges.
Die Mischung aus weiten Lyrismen und dramatischem Ausbruch lässt die besonderen Tugenden des Soprans von Maria Gessler als Genoveva im Verlauf des Abends immer stärker aufleuchten und Nathalie Senf vermag als Margaretha durch die Präsenz ihres Gesanges in Einheit mit Erscheinung und Spiel rundum zu überzeugen. Markig, klar und von schön gerundetem Klang der Bariton von Shin Taniguchi in der Partie des siegreichen Siegfried, der im letzten Moment wenigstens so etwas wie einen Schein und die Staatsräson rettet, Opfer sind unvermeidlich, für Golo in der Nervenklinik gibt’s einen Blumenstrauß.
Dann tost der Applaus. Herzlichen Glückwunsch, Robert Schumann, ein Geschenk des Regietheaters: Genovefa lebt.
Nächste Aufführung: 13.06., 15.00 Uhr, Zwickau, und in der neuen Spielzeit auch in Plauen.
Eine Textfassung des Artikels ist am 8. Juni in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.