Am Ende rieselt der Sand aus den Fugen. Das Gemäuer ist erschüttert. In seinem Florentiner Palazzo liegt der superreiche Buoso Donati im Sterben. Die ganze verwandte Sippe der Erbschleicher ist versammelt. Heuchlerisch werden Tränen vergossen, ironisch schluchzt die Musik. Kaum ist der Alte tot, wird das Testament gesucht und gefunden, großes Entsetzen, alles geht an die Mönche. "Nein," schreit die erbgeile Blase liebenswerter Typen mit größeren und kleineren Italomacken. Die Musik knallt ihre scharfen, kantigen Rhythmen heraus. Es kommt zu einer so komischen wie schändlichen Leichenfledderei. Mit Hilfe des stadtbekannten Schlitzohrs Gianni Schicchi wird ein Testamentsbetrug inszeniert, der sich gewaschen hat, und bei dem das ganze gierige Pack mit leeren Händen von dannen schleichen muss, denn statt der Mönche hat jetzt Gianni Schicchi ausgesorgt, ein junges Paar ist glücklich und das Publikum im ausverkauften Rigaer Opernahaus jubelt vor Vergnügen, klatscht, trampelt und wischt sich die Freudentränen aus den Augen.
Mit Puccinis als „Il trittico“ konzipierten drei Einaktern „Il tabarro“, „Sour Angelica“ und „Gianni Schicchi“, wird das 13. Opernfestival der lettischen Hauptstadt eröffnet. Ein großer Abend, ein Abend der großen Gefühle, große Oper, zum Lachen am Ende, zum Weinen zuvor.
Da ist zunächst die traurige, deklamierende Ballade „Il tabarro“, von der erstorbene Liebe eines Paares, Michele und seiner jungen Frau Giorgetta, die den Tod des gemeinsamen Kindes nicht verwinden können, im dumpf-fließendem Gleichmaß auf einem Schleppkahn in Paris. Dass der attraktive Löscher Luigi die Lebens- und Liebessehnsucht der jungen Frau wieder erblühen lässt, bedeutet für ihn den Tod. Michele tötet ihn, die Leiche verdeckt er mit seinem mächtigen Mantel, dann eine Pieta von erregender Wirkung, Giorgetta und der tote Geliebte.
Fotos: Janis Deinats
Der Tod lauert auch im Finale des zweiten Einakters, diesmal hinter Klostermauern, wo die Freude rar ist bei den jungen Schwestern unter Aufsicht. Hier erfährt Angelica vom Tod ihres Kindes, und alle Hoffnung stirbt. Wieder ein Leben zu Ende, bevor es begann.
Nach so viel Leiden das Lachen. Ein höllisches Lachen, denn der Grund für den Spaß im genialen Satyrspiel Puccinis nach einer Episode der Göttlichen Komödie Dantes ist eben auch der Tod und das gierige Balzen jener längst von ihm gezeichneten Meute. Immerhin, das Schlitzohr Gianni Schicchi ist saniert und ein neues junges Paar, Lauretta und Rinuccio, haben begriffen, wie die Welt sich dreht.
Modestas Pitrenas, der neue Chefdirigent, steht am Pult und baut mit dem Orchester der Lettischen Nationaloper einen Spannungsbogen auf, der auch über beide Pausen des opulenten Abends hält. Zunächst lässt er die Klangfarben aufkeimender Hoffnung in der dunkel grundierten Ballade aufblühen, dann gibt den Details der den Frauenstimmen vorbehaltenen lyrischen Tragödie Raum und lässt in deren Finale die große emotionale Erschütterung zu. Dann, in der Komödie, wird die Lust an der musikalischen Karikatur ebenso bedient wie die mitreißende Kraft der Ensembleszenen mit ihren irrwitzigen Rhythmen. Auf Puccinis Lyrismen muss nicht verzichtet werden, da gibt er sich voll in die aufblühenden melodischen Bögen, Rinuccios „Firenze è come un albero fiorito“ oder Laurettas „O mio babbino caro“.
Viesturs Kairiss hat eine Inszenierung entwickelt, die der Musik ebenso verpflichtet ist wie dem Verlauf der Handlungen. Keine Fingerzeige, keine vorschnellen Aktualisierungen, dafür großes Vertrauen in das Geschehen, das insgesamt ganz offensichtlich vor den geschlossenen Toren des Paradieses, ganz nahe aber an den weit geöffneten der Hölle stattfindet.
Im Grundgemäuer von Ivea Jurane hat ein ganzer Lastkahn Platz, es schirmt das klösterliche Leben von der Welt ab und kann deren Einflüsse doch nicht bannen, es ist am Ende als Palazzo des sterbenden alten Mannes eine Festung, die man rasch lachend verlassen sollte, bevor sie zusammenkracht.
Kairiss verbindet die drei Teile das Abends mit Assoziationsangeboten, die sich mal mehr oder mal weniger direkt erschließen, dennoch nicht ablenken. Wasser, Erde und Pflanzen spielen in allen Stücken und Räumen eine besondere Rolle. Durchwandert im ersten Teil ein Kind wie eine Erscheinung das Geschehen, so ist es real nur der Komödie vorhanden und bestimmt mit seiner Erscheinung im Finale von „Sour Angelica“ eine ob ihrer Emotionalität hoch erregende, mutige Szene, die an das Wozzeck-Finale erinnert. Keine Madonnenvision, keine Erlösung, mit ganzer Wucht zu Puccinis Klängen nur tödliche Härte aus verzweifelter Einsamkeit, in der Sekunde eines Blickes aber ein Hoffnungsschimmer.
Das alles ist natürlich nur möglich, weil ein großes Ensemble sich mit ganzer Kraft für diesen Puccini-Abend einsetzt. Asmik Grigorian erleben wir in dreierlei Gestalt. Hat sie schon als Giorgetta überzeugt, besonders in den knappen, rasch aufblühenden Duett-Szenen mit dem so überraschenden wie hoffnungsvollen Tenor Thiago Arancam, so kann sie sich als Angelica mit „Senza mamma, o bimbo tu sei morto“ noch steigern und zeigt als Lauretta eine weitere Facette. Von mindestens zwei Seiten zeigt sich auch der Bariton Kosma Ranuer, zunächst als hilflos zerrissener Michele in „Il tabarro“, dann mit Höllenspaß und komödiantischer Lust in Spiel und Gesang als gerissener Gianni Schicchi. Aufhorchen lässt der junge Tenor Raimonds Bramanis als Rinuccio.