Ja, die Zeit ist nicht gänzlich spurlos an der inzwischen fünf Jahre alten Rigaer Inszenierung von Dmitri Schostakowitschs Ausnahmewerk „Lady Macbeth von Mzensk“ vorüber gegangen und ihr berüchtigter Zahn hat hier und da genagt. Insgesamt aber kann man ja der Operndirektion nur gratulieren, die Inszenierung von Andrejs Zagars, in den Bildern von Ivea Jurjane, wieder aufgenommen und im Programm des diesjährigen Festivals platziert zu haben.
Die Aufführung ist eine Rigaer Spezialität. Nach wie vor lässt den Zuseher und Hörer diese Geschichte, verortet in einer verkommenen Schlucht maroder Plattenbauten, nicht unberührt. Die ganze Armeseligkeit des Geschehens findet in den beiden mit rotem Mohn bepflanzten Gummireifen vor der hoffnungslos grauen Tristesse beredten Ausdruck. Zagars nutzt für das Drama, indem tief empfundene lyrische Passagen mit fratzenhaft greller Wucht sinnloser Vernichtung und bösartiger Tragikomik eine Welt unter Abwesenheit von Liebe, aber der Anwesenheit von Suff im Überfluss, auf die Opernbühne bringen, die prallen Mittel der Typisierung des Volkstheaters.
Da gilt zunächst ein ganz großes Kompliment den Damen und Herren des Chores, die in blitzschnellem Wechsel von einer Situation in die andere wechseln, eben noch kleinkriminelle Plattensiedlungsgang, dann wüster, schamloser Mob, besoffene Hochzeitsgesellschaft und verloschene Individuen in der grauen Masse einer todgeweihten Karawane, die ins Lager zieht.
Fotos: Andris Krievinsh
Sie lässt einen einfach nicht los, die Geschichte der Katerina, die um des ganz kleines Glückes wegen mordet, verraten und gedemütigt wird und am Ende verlischt. Für sie hat Schostakowitsch auch die wunderbaren Passagen von tiefer Innigkeit geschrieben, ihrer unbändigen Sehnsucht nach dem unerreichbaren Ideal von Nähe zerreißende Sequenzen gegeben und die dramatischen Ausbrüche in der sexuellen Verblendung oder in der mörderischen Enttäuschung atmen die zeitlose Wucht der antiken Tragödie. Aber immer, und das macht seine musikalische Zeichnung dieser Frau so grandios, bleibt sie einsam, kein Moment ihrer Musik findet sich in denen wieder, die den anderen Personen des Dramas zugeordnet ist.
Operettig, fratzenhaft sind die Männer charakterisiert, der tyrannische Schwiegervater, der seelenlose Ehemann und Sergej, der eigennützige Aufschneider, dessen durchschaubarem, billigem Charme Katerina erliegt. Mit dem gestandenen Bariton Samsons Izjumovs als Boris Ismailov besonders und mit dem Tenor Roman Muravitzky, als eben jenen Sergej, sind diese beiden Hauptpartien gut besetzt. Besonders tiefe Eindrücke hinterlässt Aira Rurane in der Titelpartie. Die Sängerin gibt sich schonungslos in diese mörderische Partie, gewährt der unverzichtbaren Emotion das Vorrecht gegenüber absoluter Kontrolle zugunsten großer, seltener Momente des höchst individuellen und authentischen Musiktheaters.
20 Namen nennt der Programmzettel, zwanzig Sängerinnen und Sänger, dazu der Chor, alle wachsen zu einem Ensemble, das nach anfänglichen, leichten Irritationen zur Hochform findet und Schostakowitschs wilde Attacken aus Ironie und tiefem Schmerz, aus krachender Überzeichnung und lyrisch-melancholischer Behutsamkeit zum Klingen bringt und bereit ist, dazu so irrwitzig zu spielen als seien Gogol, Charms und die ganze Gruppe der St. Petersburger Oberiuten leibhaftig unter ihnen.
Am Pult steht der junge Martins Ozolins, er lässt es krachen und schmettern, aber die hölzernen Töne des Knochenmannes auf dem Xylophon dringen durch. Die an Gustav Mahler gemahnenden Wendungen sind mehr als Zitate. Das Banale klingt neben dem Erhabenen, das eine wird nicht mit Häme bloßgestellt, das andere nicht mit Augenaufschlag verklärt. Ein energiegeladener Abend, Theater mit Langzeitwirkung.