Es mag einem bestenfalls spanisch vorkommen, was da auf der Bühne des Rigaer Opernhauses zu sehen ist in Andrejs Zagras´ Inszenierung des „Don Giovanni“ vom Mai letzten Jahres. Aber ein Ort in Spanien, Sevilla im 17. Jahrhundert, ist nicht auszumachen. Man befindet sich auf einem Luxusliner, auf der MS WAM (!), und man könnte sich gerade in spanischen Gewässern befinden, immerhin.
Eigentlich findet dann aber alles fast so statt, wie es der Opernführer beschreibt oder wie man es kennt. Da ist man ja vorbereitet. Längst trägt auch andernorts Giovanni keinen Degen mehr und schon vor gut 25 Jahren wilderte er in der Bronx und man sah ihn im knappen Slip.
Auf der Rigaer Bühne von Andris Freibergs finden seine Abenteuer in den Kabinen oder auf dem Sonnendeck und an der Bar statt. Sie sind auch alle da, die gut betuchte Anna mit Verlobtem und Papa, die aufgedrehte Elvira, alleinreisend und berstend vor Trostbedürfnis. Bauern gibt es nicht auf See, Fischer wären unpassend, aber Personal, dienstbar und multikulturell, versteht sich, das geht. Wenn es sein muss, weil der Spaßfaktor bei den Pauschalbuchern unterm garantierten Mindestmaß ist, wird auch zur Verlobungsparty eingeladen. Diesmal sind Zerlina und Masetto dran, später wieder im Dienstdress heißt es wegzustecken, wofür die Kundschaft zahlt.
Ein ausgesprochen unterhaltsamer Abend (Kreuzfahrt-Fotos: Gunars Janaitis)
Giovanni ist hier eher so ein lässiger Typ, bei dem Geld keine Rolle spielt, der da aus Langeweile mal mitfährt. Wenn ihm danach ist und er eben genau jene Zerlina beeindrucken und die anderen ruhig stellen will, dann schmeißt er eine Party, mit Verkleidung und Muskelshow. Leporello ist sein Kumpel, der davon profitiert, manchmal aber auch echt die Schnauze voll hat und am Ende mit einem blauen Auge davon kommt. Aber wenn die beiden attraktiven Kerle in knallengen Jeans und Muskelshirt oder bunten Badeslips, wie echte Letten-Lover die Sau raus lassen, dann gibt’s kein Halten, gebrochene Herzen, Nasen oder Rippen sind harmlos im Vergleich dazu, dass zu Beginn der Kreuzfahrt, nachts auf hoher See, Annas Vater abgeknallt und entsorgt wird.
Zugegeben, so ganz genau darf man es nicht nehmen mit dem Text im Libretto des Lorenzo da Ponte, und einen singenden Grabstein kann man auf dem Vergnügungsdampfer wirklich nicht erwarten. Dafür dreht unser Held langsam durch, was er noch alles schluckt, vorher oder nachher, wissen wir nicht, und der Typ, der ihm da auf der Kommandobrücke ganz oben erscheint und mit Bassstimme in die Reste seines Gewissens singt, müsste der Klabautermann sein.
Vorher gibt’s noch ein paar Happen Elvira zum Nachtmahl, dann hält unsern Helden nichts mehr, er stürmt nach oben, dahin, woher die Stimme kommt, dann hat er ausgespielt, totaler Zusammenbruch, zwischen Himmel und Meer. An Bord kurzes Chaos, Stromausfall, wild kreisende Warnsignale, totaler Navigationsausfall. Schlussgesang mit Rettungswesten. Geschafft. Zwei Tote nur bei so viel Party, gut kalkuliert.
Athletisch, lässig, sportiv und elegant: Janis Apeinis als Giovanni
Unglaublich, diese Show mit Giovanni funktioniert. Zu erleben ist tatsächlich eine energiegeladene Tragikomödie, bei der Unglück und Dilemma der Menschen nicht geleugnet werden. Glücklich wird hier niemand auf Kosten anderer.
Möglich ist das, weil ein Ensemble zu erleben ist, dessen Beweglichkeit und Spielintensität grandios ist. Und alle können sich sehen lassen. Athletisch, lässig, sportiv und wenn nötig von weicher Eleganz ist Janis Apeinis als Giovanni mächtig in Aktion. Rihards Macanovskis als Leporello hat ganz ähnliche Qualitäten und es ist gar nicht ausgeschlossen, dass man die beiden gerne mal verwechseln möchte.
Zur Gesellschaft aus den Luxuskabinen gehören Sonora Vaice als Anna, Dana Bramane als Elvira, Viesturs Jansons als Ottavio und Romans Polisadovs als Komtur. Zum Dienstpersonal, korrekt im Dress, oder partymäßig zur Verlobungsshow, Gunta Davidcuka als Zerlina und Imants Erdmans als Zerlina und Masetto.
Musikalisch ist das dagegen nicht der ganz große Abend. Ab und an Schlagseite oder zu ruhiges Fahrwasser. Zum einen kann der Dirigent Mikhail Tatarnikov nicht immer alles so zusammenhalten wie es zusammen gehört, zum anderen fehlt es an musikalischen Höhepunkten und Klangraffinessen. Spätestens im zweiten Teil sind partielle Erschöpfungstendenzen im Ensemble nicht zu überhören. Insgesamt aber sorgt die Energie des Spiels der Protagonisten für einen ausgesprochen unterhaltsamen Abend an Bord der MS WAM.