Das 13. Opernfestival in Riga begann mit einer ausgesprochen erfolgreichen Premiere. Giacomo Puccinis „Il trittico“ in der Inszenierung von Viesturs Kairiss, der sich auch als Film- und Theaterregisseur Namen gemacht hat, wurde mit Begeisterung aufgenommen. Als Gesamtkunstwerk zum ersten Mal in Riga. Hohe Anerkennung auch für den Dirigenten Modestas Pitrenas, der mit dieser sensibel und nuancenreich gelungenen Produktion seine zweite Einstudierung vorstellt. Seit Beginn der Saison 2009/2010 ist er Chefdirigent am traditionsreichen Rigaer Haus. Nach kurzer kommissarischer Lösung ist mit ihm nun wieder ein junger Künstler in großer Verantwortung. Dabei steht das Haus vor großen Herausforderungen: 2014 wird Riga eine der europäischen Kulturhauptstädte sein.
Foto: Janis Apeinis
Am dritten Tag des Festivals treffen wir uns. Er hat gerade die Probe für Massenets „Werther“ beendet. Am Abend wird er am Pult stehen. Mit der Rigaer Premiere dieser Produktion, die der Operndirektor Andrejs Zagars, zuvor schon in Erfurt auf die Bühne gebracht hatte, hier aber als wesentlich gelungenere Neueinstudierung angesehen werden muss, gab er gewissermaßen seinen Einstand, dem natürlich schon andere Dirigate des Repertoires vorausgegangen waren.
Dem Abend sieht er mit Spannung und Vorfreude entgegen.
Wie die Bilanz ausfällt gegen Ende der ersten Saison, möchte ich zunächst wissen. Das Jahr war gezeichnet von etlichen Anspannungen, begründet durch Auswirkungen der Krise, die Lettland besonders hart getroffen hat. Das hat die Atmosphäre beeinflusst, menschlich und künstlerisch. Die Einsparungen treffen alle, sogar Kündigungen waren unvermeidbar. Bezüge wurden bis zu 25% gekürzt, etliches konnte aufgefangen werden durch einen zusätzlichen Monat unbezahlten Urlaubs. Jetzt verdient ein Solist beispielsweise zwischen 200 und 600 €, zuzüglich geringer Gratifikationen pro Vorstellung.
Mit „Werther“ und „Il trittico“ konnte sich die Oper nur zwei Premieren leisten, im Ballett musste es bei einem großen Handlungsballett und einem Kammertanzabend auf der Studiobühne bleiben. Dennoch, das künstlerische Niveau hat nicht gelitten, die Verunsicherungen haben nicht in eine Dauerdepression geführt, die Zeichen der Erholung sind unverkennbar, so der Dirigent.
Seinen Einstieg sieht er als gelungen an, Orchester, Chor und Solisten des Ensembles folgen seinen Vorstellungen.
Für ihn sind die Noten zunächst einmal Grafik und eine Vortragsbezeichnung sagt rein verbal nur wenig darüber, wie sie dann auch ausgeführt werden kann. Gerade in der Oper geht es darum Stimmungen und Atmosphären zu schaffen, die den Klang zum Widerschein jener Gefühlswelten werden lassen, über die wir im Geschäft des Alltags hinweggehen. Auch wenn eine Produktion abgeschlossen ist, man ist ja nicht fertig, es geht immer wieder darum, aus den Noten mehr herauszulesen, als ihr purer Text sagt, da spielt die Biografie mit, das spielen persönliche und gesellschaftliche Ereignisse ebenso mit und eine neue Sängerbesetzung sowieso. Da kann sich Modestas Pitrenas auf das 80köpfige Orchester verlassen, mit relativ wenigen Proben, bei einem großen Anteil der Abenddienste, ist hier sehr viel möglich.
„Il trittico“ war die erste Zusammenarbeit mit dem Rigaer Regisseur Viesturs Kairiss, dessen Interpretationen von Wagners „Die Walküre“ und „Siegfried“ hier bereits auch international große Beachtung fanden. Er wird den Ring vollenden, für Oktober 2011 ist die Premiere „Götterdämmerung“ vorgesehen, für 2013 die ersten Zyklen.
Für Pitrenas ist die Zusammenarbeit mit Kairiss ein Glücksfall. Er ist nach seiner Erfahrung ein Regisseur der vom Fluss der Musik her denkt und von daher seine szenischen Ideen entwickelt. Das sollte eigentlich immer so sein. Die andere Erfahrung, dass seitens der Regie die Musik missachtet, oder schlimmstenfalls verachtet wird, hat der Dirigent zum Glück noch nicht gemacht. Dagegen würde er sich auch verwahren.
Für die kommende Saison stehen für ihn zwei komplett neu besetzte und somit auch neu erarbeitete Wiederaufnahmen, „Aida“ und „Turandot“ an und als Neuproduktion Rossinis „Il Barbiere di Seviglia“. Das Heitere hier, in Korrespondenz zur Kunst des Belcanto, eröffnet neue Horizonte für den Dirigenten. Für das nächste Festival plant er zudem die Aufführung des Requiems von Verdi. Überhaupt hält er es für nötig und wichtig, das Opernorchester immer wieder auch auf die Bühne zu bringen, ins Licht zu setzen, denn dessen besondere Tugenden können ungewohnte Akzente setzen bei der Widergabe symphonischer Werke, wie jüngst mit der fünften Sinfonie von Schostakowitsch und dem zweite Klavierkonzert von Rachmaninow.
Die Chancen eines Opernhauses in den Rigaer Dimensionen sind nicht unbegrenzt, aber auch ganz und gar nicht gering zu achten. Ohne zu übertreiben, doch ein wenig stolz sagt Modestas Pitrenas, im „Weißen Haus“ von Riga, wie das Theater auch genannt wird, arbeite das beste Opernensemble des Baltikums, und außerhalb der Grenzen kennt man es ganz gut. Das Plus dieses Hauses ist die Ensemblearbeit, die Investitionen in die Talente junger Sängerinnen und Sänger. Da sind einmal die Herausforderungen der Mehrfachbesetzungen, gestandene Kollegen wechseln sich mit den Neuen ab.
Die Direktion legt viel Wert auf Förderung und internationale Erfahrungen, so werden Meisterkurse und vor allem Gastspiele vermittelt. Etliche Sängerinnen und Sänger starteten hier ihre internationale Karriere. Elina Garanca, Kristine Opolais, Inga Kalna, Inssa Galante, Marina Rebeka oder Alexandrs Antonenko zum Beispiel. Und die Zukunft der Oper in Riga? Das Ringprojekt wird, wie schon gesagt, vollendet; am Pult steht Cornelius Meister, der bereits „Die Walküre“ und „Siegfried“ herausgebracht hat.
Ein ganz großer Traum wäre für Modestas Pitrenas eine Einstudierung der Oper „Die tote Stadt“ von Erich Wolfgang Korngold, er ist da ganz zuversichtlich, in Riga sind schon etliche Träume in Erfüllung gegangen. Im Hinblick auf die kommende Saison gibt es auch schon aufsteigende Tendezen, drei Opernpremieren und zwei große Ballette sind wieder vorgesehen.
Pitrenas, der aus Litauen stammt, ist zugleich Chef des Sinfonieorchesters in Kaunas, der zweitgrößten Stadt seines Heimatlandes. Er dirigiert außerdem regelmäßig sowohl bei der Litauischen als auch bei der Lettischen Philharmonie. Wenn das Festival in Riga zu Ende ist, geht es sofort nach Warschau, beim polnischen Nationalballet dirigiert er im teatr wielki die Premiere des neuen Ballettabends, Werke von Johann Sebastian Bach in unterschiedlichen Choreografien des 20. Jahrhunderts. Auch in Deutschland ist er zu erleben, in Köln kommt im Dezember dieses Jahres „Die Zauberflöte“ in einer Neuinszenierung unter seiner Leitung heraus und in Düsseldorf übernimmt er ab Januar mit der Wiederaufnahme Puccinis „Il trittico“.
Zur Musik, das zum Schluss, ist er eigentlich durch Zufall gekommen. Als Kind sang er im Chor des litauischen Fernsehens, dann eine Entscheidung, die er jetzt als Fingerzeig Gottes sieht, sich für eine musikalische Laufbahn zu entscheiden. Der 16jährige gründet einen Chor, taucht tief ein in die Welten der Musik und es gibt kein Zurück für ihn. Den Studien an der Litauischen Musikhochschule mit Abschlüssen als Chor- und Orchesterdirigent folgen zwei Jahre am Salzburger Mozarteum. Dann geht es zurück nach Vilnius und nach einem Gastdirigat von Wagners „Der fliegende Holländer“ in Riga bekommt er das Angebot für die Chefposition. Er hat ja gesagt. Er hat es nicht bereut. Er hofft, dass es so bleibt. Ungünstig stehen die Zeichen nicht nach dieser ersten, wahrhaft ungewöhnlich hart fordernden Saison.