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Belcanto vs. Neue Welt

Wie im richtigen Leben: Partnerschaft bringt Wohlklang mit sich. Wenn alles passt, kommt Harmonie bei raus. Bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden und ihrem nun schon langjährigen Partner, der Gläsernen Manufaktur von Volkswagen, hat das Miteinander am Samstag zum dritten Mal zu einem klingenden Musikfest geführt. „Klassik Picknickt“, im Sommer 2008 begonnen, etablierte sich rasch zu einem der gefragtesten Ereignisse im kommunalen Kulturkalender.

Bei Kartenpreisen von gerade mal fünf Euro kein Wunder, möchte man meinen. Wenn da noch das Wetter mitspielt – das Ambiente im Grünen vor architektonisch eindrucksvoller Kulisse stimmt sowieso –, dann dürfte dem Gelingen nichts im Wege stehen. Aber! Gleichzeitig gab’s diesmal das Elbhangfest und irgendwo wohl auch wieder Fußball. Kein Wunder, dass die Veranstalter Sorge hatten; unbegründete Sorge, wie sich an der Abendkasse herausstellte. Die Menschenmassen strömten, Jung und Alt nahm die Wiesen und Freiflächen in Beschlag zu einem kulinarisch gewiss durchwachsenen Abendmahl (Gurkensalat neben Müsliriegeln wurde gesichtet), das von feiner Häppchenkost der Klassik garniert worden ist. Deren Auswahl schien übersichtlich: Belcanto von Rossini über Donizetti bis Verdi ist gegen Neue-Welt-Kunst von Gershwin und Bernstein ausgespielt worden. Der in Israel geborene Gastdirigent Asher Fisch erwies sich als Trainer und Libero zugleich und stellte seine Komponisten-Mannschaften im Stil eines Spielfeld-Kommentators vor.

Die Ouvertüre zur „Diebischen Elster“, eben erst zur Präsentation des neuen VW „Phaeton“ im Feinschliff probiert, gelang schwungvoll, wenn auch nicht ganz ohne geschwindigkeitsbedingte Delikte. Kolonnenfahrt sieht anders aus, wäre aber weniger aufregend. In der kommenden Spielzeit wird diese Oper konzertant im Semperbau zu erleben sein, wenn da noch etwas geputzt wird, kann das großartig werden. Mit Rossinis „Barbier von Sevilla“ ging es weiter. Nino Machaidze sang die Rosina-Cavatine „Una Voce …“ im Sopran – und hätte wohl auch stumm überzeugt. Was für ein Augenrollen! Welche Mimik und Gestik! Die aus Georgien stammende Sängerin ist viel zu eigenständig, um immer noch mit La Netrebko verglichen zu werden. Ihr kräftiger Sopran ist treffsicher, glockenstark, wandelbar; die Sängerin wirkt präsent, ohne dominant zu werden – und die Herzen des Publikums gehörten sofort ihr.

Als Tenor zu ihrer Seite war der Italiener Fabio Sartori angekündigt. Wegen plötzlicher Erkrankung, so der Moderator – auch diesen Part übernahm Asher Fisch höchst sympathisch –, musste in kürzester Frist Ersatz gesucht werden. Mit Andrej Dunaev ist aus Düsseldorf ein künftiges Ensemblemitglied der Semperoper geholt worden. Sein Einspringen rettete das geplante Programm, ließ ihn aber am Notenmaterial haften und lässt auf überzeugendere Piano-Gestaltung unter Saal-Atmosphäre hoffen. Seine Nemorino-Romanze aus Donizettis „Liebestrank“ sowie das viertel- oder achtelszenisch vorgetragene Duett „Caro Elisier“ war tenoral glaubhaft, fiel aber dort ab, wo nicht auf stimmliche Stärke gebaut werden sollte.

Sympathische Temposünder in der lauen Sommernacht (Foto: Matthias Creutziger)

Mit Verdis „Rigoletto“ klang die erste Halbzeit aus, Dunaev gab den Herzog von Mantua mit dessen Ballade „Questa o Quella“, Machaidze besang als Gilda den geliebten Namen „Gualtier Maldé“. Brava!

Ohne Pause dann der Seitenwechsel. Fisch und Kapelle stürzten sich in die zweite Ouvertüre des Abends, in Bernsteins „Candide“, die schon viel schlimmer in der Frauenkirche gehandelt wurde, open Air nun zum blechernen Kracher geriet. Der Auftakt zu Amerika. Versöhnlich gelang „Summertime“ aus George Gershwins „Porgy and Bess“, von Nino Machaidze zwar schwelgerisch mit dunklem Timbre angelegt, aber ohne wirklich schwarz zu werden.

Leonard Bernsteins „West Side Story“ setzte fort, erst mit Tonys schmachtender Marien-Anbetung durch Andrej Dunaev, dann mit dem Duett „Tonight“, in dem Nino Machaidzes Maria deutlich die Oberhand behielt, zumal die tenoralen Tempi nun deutliche Egoismen bewiesen. Dennoch hätte der Veroneser Nachtgesang aus der Bronx ein schöner Ausklang sein können. Doch Asher Fisch wollte sich – neben seinen überzeugenden Rollen als Dirigent und Showmaster – auch noch solistisch beweisen. Also setzte er sich an den Steinway und wagte Gershwins „Rhapsodie in Blue“, wohlmeinend, dass die Staatskapelle ohnehin keinen Dirigenten brauche. Weit gefehlt! Während sich Fisch durch den Solopart rhapsodierte, klaffte so manches Blau ziemlich grau auseinander. Temposünder! Zum Glück wurde nur für private Fotoalben geblitzt.

Trotzdem gab es so heftigen Beifall, dass eine Zugabe unabdingbar wurde. Ziemlich nassforsch ist „Tonight“ nochmal wiederholt worden. Etwas Gefälle zwischen Sopran und Tenor zeigte sich erneut, doch was soll’s – mit Nino Machaidze und Andrej Dunaev hatte die Kapelle ein Dream-Team, unter Allrounder Asher Fisch gab es treffsicheren Publikumserfolg und zu den letzten Takten der Verlängerung hob sich ein dicker Vollmond so satt über die fünftausend Gäste dies- und jenseits der Zäune, dass um die Harmonie künftigen Klassik-Picknicks nicht zu bangen ist.

Eine Textfassung des Artikels ist am 28. Juni in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.