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„Kentonmania“

Brücken gibt es bekanntlich in Dresden wie auch in Prag. Am Dienstag Abend wurde eine swingende Jazzbrücke von der Moldau-Metropole ins Elbtal geschlagen. Wer dem Ereignis im Uniklinikum beiwohnte, ist freilich mit „Hallo Leipzig“ begrüßt worden.

Sowas kommt vor, wenn ein weltweiter Tourkalender die Stationen austauschbar werden lässt. Doch hier handelt es sich um einen Abstecher der Prager Kentonmaniacs vom 7. Internationalen Jazzfestival „Brücke“, ein einmaliger Weg von gut hundert Kilometern. Der künstlerische Bogenschlag geht auf den tschechischen EU-Beitritt im Jahr 2004 zurück und verbindet Prag mit München, mit Bayreuth, mit Hamburg – und nun auch mit Dresden. Der Leipzig-Lapsus ließ sich trotzdem erklären.

Doch erst einmal soll aufgeklärt werden, was denn ein Kentonmaniac ist. Das ist a) ein Mitglied der Prager Bigband „Kentonmania“ und b) ein Verehrer von Stan Kenton, dem legendären amerikanischen Jazz-Sinfoniker, der als Pianist, Komponist, Arrangeur und Orchesterleiter brillierte. Sollte daraus eine Art Quersumme gebildet werden können, so hätte man beim jüngsten „Jazz im Uniklinikum“ die Antwort gefunden. Die Kenton-Verehrer sitzen in „Kentonmania“ beisammen und musizieren unter Leitung von Rudolf Mazac im Stil des Namensgebers Stücke von einst, bieten Bearbeitungen vor ureinst und Neues von heute. In ihrem jüngsten Dresden-Konzert präsentierten die Prager – gut zwei Dutzend waschechte Musikanten mit viel Blech und immerhin acht (!) Hörnern in ihren Reihen – natürlich Kenton höchstselbst, Ted Jones dazu, den Allzeit-Klassiker „Fever“, die Richard-Rogers-Ballade „My Funny Valentine“, zitierten den Soundtrack zu „Mission Impossible“, das vielfach gecoverte „Fantasy“. Selbst Gershwins „Rhapsodie in Blue“ durfte herhalten, wurde auf fünf Minuten eingedampft und bewies, dass Blechbläser nach gut zwei Stunden auch mal ermüden.

Die Bigband und ihr allerdings unermüdlich um Bonmots bemühter Chef Rudolf Mazac hatten aber auch namhafte Gäste mit nach Dresden gebracht. Allen voran den Trompeter und Flügelhornisten Ack van Rooyen. Dass der Niederländer längst die 80 vollendet hat, glaubt man ihm kaum. Der einstige Spiel-Gefährte von Dizzy Gillespie und zahllosen weiteren Koryphäen setzt sacht an, bläst aber derart intensiv, zaubert mit einem so sanften Ton, dass ihm der mehrfach an diesem Abend strapazierte Titel „Meister der leisen Töne“ umgehend geglaubt werden sollte. Das schlug sich natürlich auch in seinen wunderbaren Kompositionen nieder. Weitere „Brücke“-Gäste waren die Amerikanerin Sydney Ellis, eine unglaubliche Frau, deren Karriere erst vor knapp zwanzig Jahren begann, als sie die Vierzig freilich schon deutlich überschritten hatte, sowie der junge Sänger Jan Smigmator, der erst vor zwei Jahren das Prager Konservatorium absolviert hat. Da traf die enorm soulige Stimme der Grand Dame auf ein bemerkenswert klar und doch reif klingendes Organ zu stimmungsvoll swingenden Arrangements.

Mit der Auswahl der musikalischen Brückenschläge, die erst in einer Zugabe mit dem Louis-Armstrong-Klassiker „What A Wonderful World“ ihr Ende fanden, ging es zumindest in einem Fall etwas daneben. Als Verneigung vor Sachsen schöngeredet, ging Mazac Wagners „Walküren-Ritt“ an – und fand so immerhin einen Grund für seine lieb gemeinte Begrüßung.

www.jazzbridge.net

 

Aldo Lindhorst

Eine Textfassung des Artikels ist am 1. Juli in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.