Früher verabredete man sich unter dem Lindenbaum am Dorfplatz zum Tanzen und Singen. Heute heißt die spontane Versammlung "Flashmob" und fordert die Kreativität der Beteiligten. Auf dem Altmarkt trafen sich gestern zu einem musikalischen Flashmob-Konzert rund 800 Teilnehmer, singend und spielend begeisterte man die Passanten.
Hintergrund war der Auftakt zu "sounding D" – einer Präsentation der 15 Projektorte, an denen seit zwei Jahren das Netzwerk Neue Musik, ein Förderprojekt der Bundeskulturstiftung, aktiv ist. Verbunden werden diese Orte von Passau bis Kiel, Köln bis Dresden derzeit durch einen speziellen "sounding D"-Hörzug, der zwei Wochen lang die Städte der Netzwerkprojekte anfährt und jeweils musikalische Darbietungen an und um die Bahnhöfe herum auslöst.
Der Zug erreichte den Dresdner Hauptbahnhof gegen halb zwölf und bot auf Bahnsteig 14 den ganzen Tag über im Inneren Klangkunst und Hörüberraschungen an. Der Komponist Robin Minard hatte einen Waggon komplett zu einer Licht-Klang-Installation umgebaut und vorproduzierte Klänge mit aktuellen, alltäglichen aus den Standorten des Zuges mischte. In einem anderen Waggon konnte man in speziellen Sitzen körperliches Hören von Musik erfahren. Zudem ist für jede Stadt ein Soundwalk entstanden mit jeweils 15 Hör-Orten (darunter in Dresden die Waldschlößchenbrückenbaustelle, die Hochschule für Musik oder die Skateranlage an der Lingnerallee). Der Soundwalk kann während der Reise des Zuges auch im Internet verfolgt werden.
Dresden Hauptbahnhof, Gleis 14 – hier verreist man heute nicht, man hört zu.
Der Leiter des Sounding D-Projektes Bojan Budisavljevic betonte, dass zwar an allen Stationen des Zuges natürlich Neue Musik-Konzerte der Projektteilnehmer erklingen würden, jedoch sei gerade der Zug auf das Erfahrbarmachen des Hörens selbst abgestimmt, ein Prozess, den wir oft zu unbewusst in unseren Hörumgebungen geschehen lassen. Neue Musik drängt so in die Öffentlichkeit und die Klänge des urbanen Alltags werden im Umkehrprozess wieder zu einer Sound-Installation.
Dresden als Auftaktort hat mit dem "KlangNetz Dresden" schon seit zwei Jahren viele Veranstaltungen mit zeitgenössischer Musik erlebt, nun war es der Flashmob auf dem Altmarkt, der an einem ganz normalen Mittwoch Besucher zum Zuhören und Mitmachen animierte. Die Noten gab es vorher im Internet zum Ausdrucken – Carsten Hennig hatte ein Stück komponiert, das mittels farbiger Ballons seine Dramaturgie erhielt und auch für Laienmusiker machbar war. Und sie kamen in Scharen: Ensembles des Heinrich-Schütz-Konservatoriums, der Carl-Maria-von-Weber Chor Dresden, das Hornquartett der Dresdner Philharmonie und sogar eine Gruppe des Meeting Points Messiaen Görlitz versammelte sich vor den Ballons; mancher nutzte den Flashmob, um wieder einmal aktiv seiner Klarinette oder Blockflöte Töne zu entlocken.
Rund 800 Musiker und Zuhörer waren am Nachmittag auf den Altmarkt zum Flashmob gekommen
Kurz vor Beginn war der Wind der härteste Widersacher der Notenblätter, doch bald hallten die Fassaden des Altmarktes von den neuen Tönen wider – Lennart Dohms koordinierte mit Schildern den Ab- und Aufstieg der Ballons. Zwischen Liegetönen und flatterhaften Passagen gab es da so manchen überraschenden Zusammenklang, vor allem für die wandelnden Passanten. Nach gut fünfzig Minuten hieß es "Die Luft ist raus" und man formte (Ballon Gold) einen strahlenden D(resden)-Dur-Akkord. Am Ende gab es großen Applaus für die Aktion und für den Komponisten Carsten Hennig, der auf diese unkonventionelle Weise das musikalische Dresden jenseits der hehren Konzertbühnen zusammengeführt hatte.
In einer bunten musikalischen Parade zogen die Flashmobber anschließend die Prager Straße hinunter, um am Hauptbahnhof mit einem Konzert des Philharmonischen Kammerorchesters und des Staatsopernchors in der Wandelhalle den Abschied des Zuges vorzubereiten. Der verließ Dresden am Abend in Richtung Berlin, der nächsten Station von sounding D, am 10. September wird die Reise mit einem dreitägigen Fest in Eisenach enden. Alle Mitwirkenden und Zuhörer auf dem Altmarkt hatten großen Spaß an der Sache, allerdings war auch der recht kurze Zugbesuch selbst in Dresden fast ein Flashmob, denn gerne hätte man sich länger mit dem wichtigen Anliegen, das Zu-Hören im Alltag neu zu entdecken, beschäftigt.
Eine Textfassung des Artikels ist am 26. August in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.