Wer die Klaviermusik von Mozart liebt, kommt an dieser Dame nicht vorbei. Wer Schönberg liebt, erst recht nicht. Mitsuko Uchida ist seit Jahren anerkannte und gefeierte Interpretin dieser Komponisten, aber ihr Repertoire geht weit darüber hinaus. Die Flexibilität dieser Künstlerin und ihre Aufrichtigkeit beim Herangehen an die Partituren erzeugen immer wieder hochklassige, spannende Interpretationen. Auch bei ihrem Gastspiel bei der Staatskapelle Dresden im 2. Sinfoniekonzert war das der Fall und wurde vom Publikum mit lauten Bravos bedacht.
Die Darstellung des 1. Klavierkonzertes C-Dur von Ludwig van Beethoven war von unglaublicher Reife und Souveränität, Uchida reizte die Farbpalette des Klaviers, wie sie Beethoven um 1800 nutzte, voll aus und präsentierte sowohl schlanke Verspieltheit als auch grimmigen Ernst und im 2. Satz ein zauberhaftes Largo, das immer im Melodiefluss blieb und so nicht in romantische Missdeutung abglitt.
Mitsuko Uchida (Foto: Richard Avedon)
Gleiches gilt für das Orchester, dem der Ehrendirigent der Kapelle, Sir Colin Davis, nicht nur genaues Spiel abverlangte, sondern das mit Uchida eine glänzende Partnerschaft einging, dies war schon in der Exposition des 1. Satzes spürbar. Virtuosität ist bei Uchida keine Zurschaustellung, sondern pure Demonstration von Sinnlichkeit des Anschlages und dem Fortgang der Komposition. So blieb immer Beethoven gewahrt und man wähnte sich in der Betrachtung eines facettenreichen Bildes – Uchida brach so eine Lanze für den frühen, bereits genialen Meister, ohne ihm seine Eigenheiten zu nehmen.
Bestens aufgelegt ging die Staatskapelle auch in den zweiten Teil des Konzertes, der mit einem besonderen Programm aufwartete. Es ist eine interessante Erfahrung, dass Partituren von Leoš Janáček und Jean Sibelius über 80 Jahre nach der Entstehung immer noch Staunen verursachen. Die Kopplung beider Komponisten ist sinnfällig und erhellt spannende Zusammenhänge in der Übergangsphase zwischen Romantik und Moderne. So eindeutig, wie Richard Strauss über Heldentaten und Alpenwanderungen phantasierte, begegnet einem diese Musik jedoch nicht, und trotz des brennenden Feuers, das Sir Colin Davis in der Rhapsodie "Taras Bulba" entfachte, konnte das Sonntagspublikum für das Schlachtengemälde kaum Begeisterung aufbringen. Davis wählte forsche Tempi und scharfe Akzentuierung der Motivik, so dass alle drei Teile stets dramatisch blieben, fand aber auch die Ruhe und rhythmische Basis für die tänzerischen und melodischen Elemente, die auch in zahlreichen solistischen Passagen gut gestaltet waren.
Für die Aufführung von Jean Sibelius letztem vollendeten Orchesterwerk, der sinfonischen Dichtung "Tapiola" Opus 112 sollte man ebenfalls dankbar sein, zumal Davis als ausgezeichneter Kenner dieser Musik exemplarisch den großen Atem der Musik zeichnete und immer wieder die Weite und das Volumen dieser Musik fast dreidimensional ausformte. Transparent ausgehörte Harmonik und intensiv angelegte Steigerungen machten dieses Naturgemälde äußerst plastisch. Die Größe und das Geschenk dieser Werke zu vermitteln, daran liegt Davis spürbar am Herzen – ohne Janáček und Sibelius wären viele Entwicklungen der Musik im 20. Jahrhundert völlig undenkbar. Es ist ungewöhnlich, darauf hinzuweisen, aber dieses Konzert war ein wichtiger Schritt, um dieses Verständnis zu fördern und zu begreifen, dass auch abseits der bekannten sinfonischen Pfade musikalische Delikatessen zu finden sind.
Eine Textfassung des Artikels ist am 13. September in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.