Rudolf Barschai soll bis zuletzt höchst kreativ gewesen sein. Erst vor wenigen Tagen habe er eine Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs „Die Kunst der Fuge“ fertiggestellt und dieses Opus als sein Lebenswerk bezeichnet. Allzu kurz nach dieser krönenden Vollendung eines schaffensreichen Lebens kam die Nachricht vom Tod des Meisters. Trotz des hohen Alters und dem Wissen um längere Krankheit erschreckte und überraschte dieser traurige Fakt. Denn eigentlich sollte Rudolf Barschai nun bald der Internationale Schostakowitsch-Preis Gohrisch übergeben werden. Diese erst kürzlich gestiftete Ehrung wurde dem Künstler als erstem zugedacht, nun wird er sie posthum bekommen.
Er wäre sicherlich gern nach Gohrisch gekommen, wo sein Landsmann Michail Jurowski kurzfristig für ihn eingesprungen ist. Wünschenswert wäre ja, statt des späten, nun nicht mehr zustande gekommenen Barschai-Debüts bei der Staatskapelle, wenn dieses Orchester die Bach-Bearbeitung uraufführen könnte. Warum nicht in Gohrisch? Das wäre gewiss ganz im Sinne des nun verstorbenen Genies, der zu Lebzeiten schon längst als Legende gehandelt worden ist.
Fotos: Internationale Schostakowitsch Tage Gohrisch
Mit Bearbeitungen von Werken aus fremder Hand ist Rudolf Barschai weltweit berühmt geworden. Seine bekannteste Schöpfung ist gewiss die Kammersymphonie nach Dmitri Schostakowitschs 1960 in Gohrisch entstandenem 8. Streichquartett c-Moll op. 110 gewesen, das der Komponist umgehend autorisierte und als op. 110a in sein OEuvre mit aufnahm. Beide Künstler waren einander zeitlebens eng verbunden.
Der 1924 in der südrussischen Region Krasnodar geborene Barschai studierte am Moskauer Konservatorium bei Dmitri Schostakowitsch, dem er rasch ein enger Freund und Vertrauter geworden ist. Er musizierte zudem mit Emil Gilels, Leonid Kogan, mit Yehudi Menuhin, David Oistrach, Swjatoslaw Richter und Mstislaw Rostropowitsch. Eigens wegen seiner Leidenschaft für die Kammermusik wechselte er nach dem bei Lew Zeitlin absolvierten Violinstudium zur Viola und muss wohl rasch zu einem überaus gern genommenen Partner avanciert sein.
So war es kaum mehr als eine Frage der Zeit, dass Barschai auch selbst Ensembles ins Leben rief. Er war Gründungsmitglied sowohl des renommierten Borodin-Quartetts als auch des Tschaikowski-Quartetts. Als junger Bratschist musizierte er am ersten Pult des Orchesters vom Moskauer Bolschoi-Theater. 1955 gründete er das renommierte Moskauer Kammerorchester, das er mehr als zwei Jahrzehnte leiteten sollte.
Bald nach dem Tod Schostakowitschs 1975, dessen 14. Sinfonie Barschai 1969 gegen starke ideologische Widerstände uraufgeführt hatte, emigrierte er via Israel in den Westen, wo er als Dirigent der renommiertesten Orchester in aller Welt gefeiert worden ist. In fast aller Welt. Denn ausgerechnet mit dem für seine Schostakowitsch-Pflege bekannten Gewandhausorchester Leipzig hat es nur eine einzige Zusammenarbeit gegeben, in der 1991 neben Dvoráks 9. Sinfonie zwar auch Prokofjews Sinfonisches Konzert für Violoncello und Orchester e-Moll mit Michael Sanderling erklang, aber eben kein Schostakowitsch – die Schostakowitsch gewidmete Konzertreihe lag bei Kurt Masur halt schon in guten Händen. Das kompositorische Vermächtnis seines Freundes hat Barschai dennoch als Interpret wie auch als Bearbeiter betreut. Er bearbeitete zudem Werke von Sergej Prokofjew und von anderen Komponisten. Im Jahr 2000 vollendete er etwa die 10. Sinfonie von Gustav Mahler, die sowohl früher als auch noch später (2010 durch den unmittelbar darauf verstorbenen Komponisten Yoel Gamzou) Komplettierungsversuche erfuhr.
Neben dem eigenen Schaffen dürfte aber das Werk Schostakowitschs im Zentrum von Barschais Arbeit gestanden haben. Mehrere seiner Kammermusiken transkribierte er in neuer Fassung, am bekanntesten bleibt gewiss die erwähnte Kammersymphonie nach dem berühmten, vom biografischen D-Es-C-H-Motiv geprägten Streichquartett Nr. 8. Sie ist nun ein frühes, Bachs „Kunst der Fuge“ ein letztes Vermächtnis dieser legendären Musikerpersönlichkeit.