Es ist ein besonders perfides Drama, das der chilenische Autor Ariel Dorfman 1991 herausgebracht hat. Hatte das Bühnenstück „Der Tod und das Mädchen“ schon weltweit das Publikum erschüttert oder auch entzweit, so konfrontierte der Film Roman Polanskis von 1994 weit mehr Menschen noch mit diesem Drama der Begegnung eines Opfers mit seinem Peiniger nach dem Ende einer Diktatur.
Dieser Täter hatte es auf Frauen abgesehen, inhaftiert wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, waren sie seinen sexuellen Versuchen ausgesetzt, bei denen sie den Täter nur akustisch wahrnehmen konnten. Er liebte es dabei Kammermusik zu hören. Franz Schuberts, Streichquartett in d-Moll, „Der Tod und das Mädchen“ bevorzugte der Sadist.
Nach Ende der chilenischen Diktatur begegnet das Opfer einem Mann, den sie für den Täter, ihren Peiniger hält, zu stark haben sich seine akustischen Charakteristika in die Wahrnehmung dieser Frau in den Situationen aus Angst, Verzweiflung und Widerstand eingeschrieben.
Am Ende bleiben die Fragen nach der Verlässlichkeit von Erinnerung und Wahrnehmung zwar offen, aber eben auch die Frage, wem der Grundsatz einer Rechtsprechung nützt, die den Opfern mit der Beweislast die seelische Wiederholung des Erlebten zumutet. Verständlich, dass dieses Stück auch in Deutschland heftige Diskussionen auslöste.
Der Schweizer Komponist Alfons Karl Zwicker sah den Film und wusste, er würde dieser Thematik eine musikalische Form geben. Er komponierte eine Oper, in der es um die Fragen von Schuld, Vergebung, Sühne geht, aber eben auf der musikalischen Ebene auch um Dimensionen seelischer Verletzungen, deren Beschreibungen Worte weniger nahe kommen können als die Musik.
Schon vor vier Jahren war gemeinsam mit dem Mitteldeutschen Rundfunk eine konzertante Uraufführung des Werkes in Hellerau geplant, die leider nicht zustande kam. Für die Partie des Opfers, der Paulina, war damals die Dresdner Mezzosopranistin Annette Jahns vorgesehen.
Jetzt kommt in Hellerau, dem Europäischen Zentrum der Künste, in Kooperation mit dem MDR, das Werk zur szenischen Uraufführung. Annette Jahns ist die Regisseurin, die kanadische Sängerin griechischer Herkunft Frances Pappas singt die Partie der Paulina, Andreas Scheibner ist ihr Ehemann und Uwe Eikötter der Arzt.
Für die von Alfons Karl Zwicker eingefügten assoziativen Chorpassagen steht mit dem Rundfunkchor des MDR ein hervorragendes Ensemble zur Verfügung, gleiches gilt für das renommierte Sinfonieorchester des Senders. Florian Ludwig, Generalmusikdirektor des Theaters und des Philharmonischen Orchesters in Hagen hat die musikalische Leitung.
In der heißen Endprobenphase gibt es doch noch eine lang gesuchte Gelegenheit für ein Gespräch mit Annette Jahns. Gerade musste ein ganzer Probentag in Helleraus umdisponiert werden, der Schnee ist schuld. Chor und Orchester blieben auf dem Weg von Leipzig nach Dresden darin stecken.
Aber dennoch, das Ensemble ist guter Dinge, von einer Gemeinschaft, die sich der nicht gerade einfachen Aufgabe mit allen Kräften aussetzt, spricht die Regisseurin. Aus unterschiedlichen Sichtweisen und Erfahrungen kommen die Meinungen angesichts der Thematik des Stückes zusammen. Einig ist man sich darin, dass die künstlerische Form der Auseinandersetzung mit einem leider kaum lösbaren Problem den Opfern so etwas wie Schutz und Würde geben kann. An der Ironie der Geschichte, dass scheinbar die Wege der Verständigung zwischen einstigen Tätern und neuen Machthabern praktikabler sind, kann man schon irre werden, und natürlich auch daran, dass es wesentlich schwerer und vor allem schmerzvoller ist eigene traumatische Erfahrungen zu artikulieren als wohlfeile Erklärungen abzugeben für Verfehlungen und Verführungen auf Seiten der Täter.
Da ist die Regisseurin und Sängerin voller Hochachtung für die Schonungslosigkeit der Protagonisten, mit der sie sichdem Geschehen dieses Stückes aussetzen, das natürlich auch in den hohen Ansprüchen der musikalischen Formen der Komposition angemessene Entsprechung findet.
Wenn es darum ging, im Prozess der szenischen Erarbeitung Formen und Bilder zu finden, dann können angesichts der Sensibilität die in solches Thema verlangt, nur individuell verantwortete Ergebnisse den Anspruch auf Authentizität erheben. Da, so die Regisseurin, kann ihr vieles helfen, was sie in der Zusammenarbeit mit Pina Bausch gelernt hat, und die Kollegen sind bereit ihr zu folgen, wenn es darum geht im Klang und in der Haltung den jeweils individuellen Ton der Wahrheit zu finden.
Das Bild, der Raum, an dessen Geschichte in den Diktaturen Filmeinspielungen erinnern werden, gibt den authentischen Rahmen für das Drama. Die Musik, im Klang des großen Orchesters, in den kammermusikalischen Passagen, die assoziativen Klangräume des Chores, führen von der räumlichen und verbalen Konkretion in die Tiefe der Universalität von Erfahrungen aus der Nähe des Todes. Motive aus Schuberts Quartett spielen da eine besondere Rolle.
So macht der Einsatz des großen musikalischen Apparates angesichts eines Kammerspiels wahrhaft Sinn. Geht es doch immer wieder um innere Ebenen der Protagonisten, um die Klänge der Zwischenräume im oftmals thematisch begründeten Stocken des Gesprächs.
Für Annette Jahns, nach ihren reichen Erfahrungen als Sängerin, als Regisseurin und Performerin immer auf der Suche nach neuen Ausdrucksmitteln, ist diese Arbeit eine besondere Herausforderung. Aber die liebt sie ja. Und nach der Uraufführung gibt es nur eine kurze Ruhepause. In Brno, im historischen Mahen-Theater wird sie mit Caspar Richter am Pult und dem Dresdner Bühnenbildner Sebastian Stiebert im Februar Mozarts „Le nozze di Figaro“ herausbringen. Und das muss auch so bleiben, singen und formen, Formen finden und der Wahrheit näher kommen. Der Wechsel von einem Extrem ins andere hält wach.
Der Tod und das Mädchen, Uraufführung: 2.12., weitere Vorstellungen: 4., 5.12.
Eine Textfassung des Artikels ist am 1. Dezember in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihr hier erneut abdrucken zu dürfen.