Völlig auf Kontrast ausgelegt war das Programm des 5. Zykluskonzertes der Dresdner Philharmonie, mit dem der italienische Dirigent Roberto Abbado sein erfolgreiches Debüt beim Orchester gab. Zwei sinfonische Werke von Joseph Haydn und Robert Schumann umrahmten das Concerto für zwei Klaviere und Orchester von Luciano Berio, das der 2003 verstorbene Komponist 1972 für Bruno Canino und Antonio Ballista schrieb. Für dieses höchst anspruchsvolle Werk konnte das "GrauSchumacher Piano Duo" (Andreas Grau, Götz Schumacher) engagiert werden – Spezialisten gerade für zeitgenössische Musik und Entdeckungen in der Literatur für vier Hände.
Im Publikum traf das äußerst virtuose Werk allerdings kaum auf Anerkennung. Das lag weniger an der fahrlässigen Irreführung im Programmheft, das Concerto der "gemäßigten Moderne" zuzuordnen. Der schwierige Zugang kann vor allem darin begründet sein, dass das Stück nur ein einziges Hören zulässt: das offene, vorurteilsfreie Hören, das nicht vergleicht oder Erwartungen erfüllt. Läßt man sich darauf ein, erscheint Berios Concerto als eine einzigartige, zerklüftete Klanglandschaft, die deutlich um verschiedene Pole der Dichte und Klangschärfe zu kreisen scheint. Grau und Schumacher bemühten sich kundig und mit großer Selbstverständlichkeit um das Stück, vor allem der mit Akkordblöcken durchbrochene Schluss gelang intensiv. Vieles gab es da zu entdecken: immer wieder entstehende und sich auflösende Massierungen, Stillstand und exorbitante Bewegung.
Doch das flimmernde Schmuckstück wollte nicht zum Zuhörer gelangen, und das lag auch an akustischen Problemen: die deckellosen, weit auseinandergestellten Instrumente der Solisten ließen den Klang nur flach in den Raum entweichen, sodass ein differenziertes Zuhören fast unmöglich war und die Solisten im Tutti untergingen. Hier scheiterte wieder einmal eine gut gemeinte Aufführung am Saal; im Orchester konnte Abbado die Changierungen in den harmonischen Schichtungen und der ausgefeilten Rhythmik nur bis zu einem gewissen Grad zeichnen, die Balanceprobleme überwogen jedoch: die elektronische Orgel kam zu scharf über die Bühne, von der Marimba hingegen vernahm man fast gar nichts. Als kaum befriedigendes Ergebnis stellte man fest, bei einem zu lobenden Höchstmaß der Anstrengung aller Beteiligten nur einen Bruchteil der Schönheit des Werkes empfangen zu haben.
Zuvor demonstrierte Abbado an Joseph Haydn, dass im vertrauten Rahmen diese Differenzierung auch gelingen kann: wunderbar galant und edel im Ton musizierte die Philharmonie die 93. Sinfonie D-Dur. War der 1. Satz noch festmusikartig zelebriert, so spielte sich das Orchester mit schlankem Ton bis zum Finale völlig frei, ohne dabei schöne Details aus dem Auge zu verlieren.
Höhepunkt des Konzertes war zweifelsohne die 4. Sinfonie d-Moll von Robert Schumann. Abbado formte eine außergewöhnliche Interpretation, die das Publikum mit frenetischem Beifall quittierte: das ganze Werk atmete eine leichte Überspannung, die sich mal in intensiver Leidenschaft, mal in vorwärtsstürmender Dramatik niederschlug. Zurücknahme und Auskostung eines Pianos oder einer kantablen Linie stand hier weniger auf der Tagesordnung, dafür aber atmete diese Aufführung eine fast überbordende Lebendigkeit. Der Funke des stets mit ganzem Körpereinsatz den Klang formenden Dirigenten sprang auf die Philharmoniker über, die mit hervorragender Homogenität antworteten.
Eine Textfassung des Artikels ist am 7. Januar in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.