Der 2. Aufführungsabend der Sächsischen Staatskapelle bot – wie eigentlich immer in dieser Reihe – einige Entdeckungen am Rande des großen sinfonischen Repertoires. Zwar waren alle Komponisten des Abends bekannt, aber hat etwa jemand auf Anhieb die Themen der 86. Sinfonie von Joseph Haydn parat? Vielleicht haben wir sie auch schon einmal gehört, doch das Wiederentdecken in einer neuen, frischen Interpretation ist die eigentliche Freude beim Zuhören und diese wird durch die Aufführungsabende stets garantiert. Für den erkrankten Mikhel Kütson sprang am Dirigentenpult die Britin Julia Jones ein, die vor wenigen Tagen erst ihr Debüt in der Semperoper als musikalische Leiterin der Mozart-Oper "Die Entführung aus dem Serail" gab.
Jones, die Chefdirigentin des Teatro Nacional in Lissabon ist, begann mit der "Pavane couleur du temps", einem märcheninspirierten Stück für Streichorchester von Frank Martin. Von dem Schweizer Komponisten allerdings ist man weitaus tiefgehendere Musik gewöhnt und so blieb dieses achtminütige Frühwerk lediglich als kurze, überzeugende Demonstration des feinnervigen Streicherklangs der Kapelle in Erinnerung.
Ganz anders liegt der Fall bei Darius Milhaud. Ist der Franzose, der über 400 Kompositionen schuf, in einem Konzert programmiert, so läßt man sich meist auf ein Hörabenteuer ein. Zum einen deswegen, weil außer wenigen populären Werken kaum etwas aus seinem OEuvre den Weg ins Repertoire gefunden hat, zum anderen, da Milhaud zwischen Klassizismus, Jazz und Zwölftonmusik so ziemlich alle Stilistiken beherrschte und lustvoll verwendete. Das 2. Violinkonzert, Opus 263 ist genau so ein Abenteuerstück, dessen erster Satz sich sogleich nicht entscheiden kann, ob er in der Düsternis des Beginns verharren soll oder einem tänzerisch dumpfen Metrum nachgehen soll. Jörg Faßmann, Konzertmeister der 2. Violinen der Staatskapelle, war der Solist des Werkes, und er arbeitete deutlich heraus, dass dieses Konzert keinesfalls ein klassisches Dialogkonzertieren beinhaltet, eher stehen sich hier Innen- und Außenwelten schroff gegenüber: Faßmann ist das Singen und der große Bogen vorbehalten, während sich das Orchester im 2. Satz zwischen Broadway und Dissonanzmotivik bewegt, im 3. Satz sogar ganz auf verquere Rhythmik versteigt. Die Interpretation war famos und Faßmann behielt auch im virtuosen 3. Satz ruhige Übersicht und klare, ausgefeilte Klangformung bei.
Julia Jones, die hier schon für dezidierte Äußerungen im Orchester gesorgt hatte, sorgte dann für eine große Kammermusik in der Haydn-Sinfonie. Hier gelang ihr das Kunststück, eine forsch-vorwärtsdrängende Grundhaltung und eine immer wieder sensibel in die Details leuchtende Ausformung zu verbinden; der frei parlierende 2. Satz geriet gar zu einem besonderen Schmuckstück. Haydns unerschöpflicher Ideenreichtum wurde hier mit Spielwitz unterhaltsam und transparent musiziert – Jones erhielt dafür starken Applaus.
Eine Textfassung des Artikels ist am 9. April in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.
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