Das ist eine dieser verrückten Geschichten. Der Bassist Benedikt Hübner suchte nach seinem Probejahr bei der Dresdner Philharmonie ein passendes Instrument. Aus dem Orchesterfundus erwärmte keines sein Herz, also: Herumreisen, telefonieren, spielen, abwägen. Und da war dieses Problem: "Der Markt für Fünfsaiter war wie leergefegt," erinnert sich der Bassist. "Von den Instrumenten in der Preisklasse, in der ich suchte, gefiel mir keins so, dass ich mein weiteres Leben mit ihm verbringen wollte."
Doch da gab es diesen Zymbalspieler, Tivadar Szenaszi, der in Meißen ein ungarisches Restaurant betreibt. Er hatte Kontakte zur Kontrabasswerkstatt von Harry Jansen in Amsterdam, und dort gab es einen Viersaiter, etwa 1840 von William Booth in Leeds gebaut und die letzten dreißig Jahre von einem Bassisten des Londoner BBC Orchestra gespielt. Der Philharmoniker war ganz begeistert von dessen Ansprache, spielte ihn den Kollegen vor. Brillant klinge der Bass, war die allgemeine Reaktion, direkt, auch bei schnellen Noten gut durchhörbar, und bringe dennoch viel Tiefe und Wärme im Klang mit. "Das Holz kann eben freier schwingen, wenn nur vier Saiten auf den Steg drücken," so erklärt es sich Hübner. Und der Kölner Geigenbaumeister Daniel Kreß, bei dem er weitere Fünfsaiter ausprobierte (auch mit nur vier aufgezogenen Saiten, zum klanglichen Vergleich), gab ihm recht. Mit ihm fachsimpelte der Dresdner Bassist auch über diese auf den ersten Blick etwas kurios anmutende "Verlängerung" der tiefsten Saite über die Schnecke hinaus. Die leere Saite kann durch fixierbare Klappen während der Aufführung auf verschiedene Töne gestimmt werden, Herr Szenaszi hatte die Idee aufgebracht. Hübner fand das spannend; der Booth-Bass wurde mit dem System ausgerüstet. Und ist seitdem der Blickfang derer, die während eines Konzerts der Dresdner Philharmonie die Bassgruppe mustern.
In britischen und amerikanischen Orchestern sind Viersaiter mit so genannten ‚C Extensions‘ gar nichts Unübliches; in Deutschland, zumindest in Ostdeutschland, beherrschen dagegen heutzutage ausnahmslos Fünfsaiter die Szene. Nur im Kölner Gürzenich-Orchester und im Sinfonieorchester Aachen spielen zwei Kollegen viersaitige Bässe mit Verlängerung. Klar, auch Benedikt Hübners Dresdner Kollegen guckten am Anfang etwas verwirrt. Der Klang aber überzeugte sie; er ergänzt die Gruppe ausgezeichnet. Wer übrigens das von Günter Hausswald herausgegebene „Dresdner Kapellbuch" aus dem Jahr 1948 zur Hand nimmt, stößt dort auf eine Abbildung, die belegt, dass die Dresdner Staatskapelle nach dem Krieg auf eine Mischung von Vier- und Fünfsaitern setzte. Sogar eine Verlängerung ist deutlich auf dem Foto auszumachen. Offenbar ging diese Praxis jedoch mit sich verändernden Klangvorstellungen während der letzten sechzig Jahre verloren.
Die Noten, die das Orchester oft von internationalen Agenturen ausleiht, enthielten meist schon die von Hand ergänzten Notizen, wann man auf der Verlängerung welche Klappe voreinstellen muss, sagt Benedikt Hübner. Sicher, etwas mehr Übeaufwand erfordere das Spiel mit Verlängerung schon. Der Klang seines Instruments aber erfreut ihn jeden Tag. Heute ist Hübner beim Orchester als Solo-Kontrabassist fest angestellt. Und beantwortet seitdem auch gelegentlich neugierige Anfragen aus dem Publikum: "Das ist eine dieser verrückten Geschichten…"