"Macht euern Dregg alleene", soll der letzte sächsische König Friedrich August III. bei seiner Abdankung geknurrt haben. Daran haben sich seine Untertanen auch fast hundert Jahre gehalten. Nun aber überließen sie die Barockkulisse des Dresdner Zwingers zähneknirschend einem Zugereisten. Der huldigt dem Ururururgroßvater Friedrich Augusts zwei Wochen lang mit Open-Air-Festspielen – unter Mitwirkung von Dirk Bach und Dieter Bohlens Ex-Freundin.
Monatelang hatte deswegen der sächsische Volkszorn schon geköchelt. Zeigten doch die Dresdner wenig Lust, sich ihre höfischen Helden von einem halbseidenen Wahl-Mallorquiner ausdeuten zu lassen. "Einwände und Irritationen" erwähnt Regisseur Dieter Wedel im Programmheft. Das ist noch tiefgestapelt für die Reihe von Ohrfeigen, die die Organisatoren im Vorfeld der Premiere einzustecken hatten. Die Zwingerfestspiele, für die noch vor wenigen Wochen weder Text, noch Musik, noch wenigstens ein ungefähres Genre feststanden, stießen von Anfang an auf wenig Gegenliebe, wurde doch offenkundig die kurzweilige und stets gut besuchte Sommerbespielung des barocken Ensembles durch Orchester und Ballett der Sächsischen Landesbühnen eingestellt. Wedel aber blieb optimistisch. Ob die Verwaltung nun schildbürgerlich den Rotweinausschank verbot oder die Gewerkschaft die Ausbeutung der Komparsen anprangerte – der Gescholtene machte einfach weiter.
Zwei Wochen nach der Premiere lässt sich konstatieren: Der Zwinger steht noch. Die Komparsen leben noch. Die Aufregung um die Zwinger-Festspiele beruhten schlicht auf einem Missverständnis. Die Landeshauptstädter erwarteten nämlich von den neuen Festspielen mindestens ein kleines Bayreuth. Der sächsische Ministerpräsident richtete sein Grußwort dementsprechend an die "sehr geehrten Musikfreunde". Falls tatsächlich Musikfreunde unter den studiogebräunten Event-Touristen gewesen sein sollten, die die letzten Tage durch den violett beleuchteten Zwinger defilierten, werden sie unter den billig am Computer zusammengeschusterten Soundschnipseln, die die zugespielten Videos untermalten, fürchterlich gelitten haben. Die kleinen Filmchen hatten – wie die Leistung der meisten Schauspieler auf der von Jens Kilian einfallslos bebilderten Bühne – die Anmutung von Vorabendserien. Sicher, wenigstens die Kartenpreise erreichten halbwegs Bayreuther Niveau.
Inhaltlich hielt "Die Mätresse des Königs" hingegen nicht viel bereit, das zu erinnern sich lohnte. Das Libretto, das John von Düffel aus Motiven eines Historienromans und Gedichten von Erich Kästner zusammengeklebt hat, blieb unspritzig und viel zu langatmig. Bearbeitungen des Regisseurs hatten daraus ein flickschustriges Dresdner Allerlei werden lassen, in dem allenfalls Götz Schubert in der Rolle Augusts des Starken durch ausdrucksstarkes Spiel Akzente setzen konnte. Für die schüchtern-lahme Darbietung von Kästners Zeilen "Die Welt ist rund. Denn dazu ist sie da" in schlimmster Rolf-Zuckowski-Manier dagegen hätte August seinen Hofnarren schlicht köpfen lassen.
Die krude Mischung von künstlerischer Naivität und organisatorischem Lassez-faire ist am Ende doch kein totaler Reinfall geworden – 25.000 "Besucher" bilanziert der Geschäftsführer (wobei die Schreckensnachricht, wie viele Karten verkauft wurden, und wie hoch das Minus der Festspiele tatsächlich ist, auf "Ende September" verschoben wurde). Dem Ruf Dresdens als Kunst- und Kulturstadt aber haben die Zwinger-Festspiele trotz aller großspurigen Töne im Vorfeld nichts auch nur halbwegs nennenswertes hinzuzufügen. Die Morgenpost-Schlagzeile "Starregisseur Wedel droht mit Rückzug" sorgte deswegen unter Landeshauptstädtern eher für Erheiterung. Pragmatische Bilanz nach Jahrgang eins: Mehr Lärm um nichts ist in Dresden selten gewesen.
Anders Winter