"Dr. Ralf Lunau" – drei von vier Dresdnern wissen mit diesem Namen nichts anzufangen.
Es gibt schon Momente, da hätte ich es gern anders. Aber wenn ich morgen wieder in der Markthalle einkaufe, bin ich eigentlich gar nicht böse, dass mich nicht so viele kennen.
Trotzdem, stellen Sie sich doch bitte noch einmal vor – sich und natürlich Ihre Arbeit.
Ich bin 1965 geboren, habe in Dresden die Schule besucht, vor der Wendezeit Jura in Jena studiert und mich später dort auch promoviert. Seit Mitte der Neunziger habe ich als Rechtsanwalt gearbeitet, ab 1999 saß ich ehrenamtlich für die Linksfraktion.PDS im Dresdner Stadtrat.
Seit 2008 bin ich, wie es in der sächsischen Gemeindeordnung heißt, Beigeordneter für Kultur. Der Begriff „Kulturbürgermeister“ hat sich aber genauso eingebürgert, wie Wirtschaftsbürgermeister oder Sozialbürgermeister. Damit bin ich zuerst zuständig für alle städtischen Kultureinrichtungen und den Denkmalschutz in der Landeshauptstadt. Mit Hilfe des Amtes für Kultur und Denkmalschutz muss ich Strukturen sicherstellen und Ressourcen akquirieren, damit städtische Kultureinrichtungen eine gute Arbeitsgrundlage haben.
In einer Stadt wie Dresden, wo es auch viele Kultureinrichtungen des Landes gibt – genannt seien die Semperoper, die Staatlichen Kunstsammlungen oder das Staatsschauspiel – gehört es auch zu meinen Aufgaben, den Kontakt zwischen den Kultureinrichtungen verschiedener Träger zu befördern, Konfliktpotentiale zu mindern und ein gutes Arbeitsklima zu schaffen.
Ist dieses Amt ein dankbares Amt?
Ja. Es verschafft mir die Möglichkeit, sieben Jahre lang auf einem sehr prägenden Gebiet etwas bewegen zu können. Dabei habe ich schon unglaublich viel gelernt, und interessante Menschen getroffen. Dieses Amt ist sicher keine Einbahnstraße.
Das hörte sich jetzt nach einer vorsichtigen Bewerbung für das Oberbürgermeisteramt an?
Ach, wenn ich vor die Wahl gestellt würde, ob OB oder Kulturbürgermeister, wüsste ich momentan nicht, ob ich tauschen wollte.
Wie viel Einfluss hat ein Beigeordneter Kultur – und welche wichtigen Entscheidungen der letzten Jahre führen Sie auf Ihre Arbeit zurück?
In der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich über diese Frage natürlich schon etwas nachgedacht. Es ist mir dabei wieder klargeworden: wichtige Entscheidungen sind immer auf den Einfluss vieler Menschen zurückzuführen. Ich kann und muss mir glücklicherweise keine Entscheidungen ausschließlich persönlich zurechnen lassen. Vielleicht habe ich in einigen Punkten wichtige Weichen gestellt: dazu zähle ich den Umbau des Kulturpalastes, auch das Kraftwerk Mitte. Aber auch Haushaltsentscheidungen, die im Bereich der Kultur positive Entwicklungen mit sich gebracht haben.
Bei der Kunst im öffentlichen Raum oder den Dresdner Musikfestspielen haben wir jeweils finanziell etwas draufgepackt. Und zwei zusätzliche Stellen für die Museumspädagogik haben wir auch hinbekommen. Dann gibt es noch sehr gute Personalentscheidungen die der Rat auf meinen Vorschlag hin getroffen hat. Letzten Samstag war das erste Konzert von Michael Sanderling als neuem Chef der Philharmonie. Und auch der Vertrag des Musikfestspielintendanten Jan Vogler ist verlängert worden.
Wie müssen wir uns eigentlich die Entscheidungswege in Ihrem Haus vorstellen?
Das ist ein ganz feines Geflecht von Zuständigkeiten. Mein wesentliches Arbeitsinstrument ist die Überzeugungskraft. Alles, was in meinem Haus an Fragen bearbeitet wird und den Stadtrat erreichen soll, muss zuvor am Tisch der Oberbürgermeisterin die Zustimmung erlangen. Auch andere Geschäftsbereiche, der "Finanzer" und die Stadtentwickler, müssen zu fast allen Punkten ihre Zustimmung geben, melden vorher Zweifel oder Ablehnungsgründe an. Kommunikation ist dabei das A und O.
Ein Beispiel: das Theater der Jungen Generation kündigt seinen vier festangestellten Musikern. Sind Sie in solche Kürzungsentscheidungen involviert?
Hier liegt ein Missverständnis vor. Die Stellen, die Sie ansprechen, werden nicht gekürzt. Die Intendantin des Theaters hat den Musikern so genannte "Nichtverlängerungsmitteilungen" zugestellt. Das ist ein Vorgang, der tarifrechtlich für Künstler so vorgesehen ist, auch wenn städtische Häuser vergleichsweise selten davon Gebrauch machen. Von Spielzeit zu Spielzeit muss ein Intendant neue personelle Zusammensetzungen organisieren können. So war es auch in diesem Fall. Weiter werde ich mich zu konkreten Personalfragen aber nicht äußern.
Und Sie würden der Intendantin da auch nicht hineinreden?
Sie allein entscheidet, ob und wie Stellen an ihrem Haus neu besetzt werden. Ein Intendant hat die Personalhoheit und -verantwortung für sein Haus. Mit der Entscheidung für einen bestimmten Intendanten entscheidet sich die Stadt für ein künstlerisches Profil, aber wie er dieses umsetzt, hat er – oder sie – allein zu verantworten. Die Trennung von Kunst und Politik besteht, um die Kunst zu schützen. Ich nehme diesen Mechanismus sehr ernst.
In Dresden gibt es noch mehr Sümpfe, in denen man sich zwischen den Argumenten der leidenschaftlichen Kämpfer allzu leicht verirrt. Die Förderung freier Künstler im Bereich des Jazz, aber auch der Alten Musik gehört vielleicht dazu. Wie stellen Sie sicher, dass hier alle Beteiligten möglichst gut wegkommen?
Förderentscheide durch eine Person treffen zu lassen, wäre falsch und politisch nicht zu vertreten. Aus diesem Grund gibt es ein Verfahren, in dem die freien Kulturakteure selber mit einbezogen werden in die Entscheidungen zur Verteilung von Ressourcen. Es gibt da ein dreistufiges Verfahren. An erster Stelle gibt es die Facharbeitsgruppen (Musik, Darstellende Kunst, Film, Bildende Kunst u.a.). Hier sitzen jeweils Dresdnerinnen und Dresdner aus diesen Genres zusammen, beraten über Anträge und erstellen eine Prioritätenliste. Im zweiten Schritt kommt der Kulturbeirat ins Spiel, dem Ehrenamtler aus dem Bereich der Kultur angehören. Branchenübergreifend schlagen sie vor, wie das vorhandene Geld über die Anträge verteilt werden soll. Das dritte Gremium ist der Kulturausschuss, in dem Stadträte sitzen. In diesem Gremium habe ich übrigens keine Stimme; das ist manchmal ganz aufregend, manchmal aber auch ganz gut. Der Kulturausschuss entscheidet abschließend und führt in der Regel nur kleine Veränderungen herbei. Das Votum der anderen Beteiligten wird dabei sehr ernst genommen. Meine Aufgabe ist es nun, diesen Prozess formell zu organisieren und vor allem zu moderieren.
Als einen Schwerpunkt Ihrer Arbeit nannten Sie auch das Kraftwerk Mitte.
Ich bin sehr froh über die Entscheidung des Stadtrats, den kulturellen Doppelstandort Kraftwerk Mitte zu verwirklichen und TJG und Operette mit neuen Spielstätten auszustatten. Ich sage aber ausdrücklich dazu, dass ich die Sorgen, die den Finanzbürgermeister dabei beschäftigen, kenne und davon ausgehe, dass es im Interesse der Kultur selber ist, dass die Stadt finanziell nicht über ihre Stränge schlägt. Für den Fall notwendiger Sparmaßnahmen wäre die Kultur – auch wenn sie in Sachsen gesetzlich als Pflichtaufgabe definiert ist – immer besonders bedroht.
Dresdens Mäzenatentum ist daneben noch zu wenig entwickelt. Welche Anreize für ein lebendigeres Kulturleben kann die Stadt schaffen?
Der Bereich, wo wir am ehesten etwas tun können, ist die allgemeine Wirtschaftsförderung. Die schwächste Stelle, die das Sponsoring in Ostdeutschland insgesamt hat, ist die fehlende Leistungsstärke des Mittelstandes im Vergleich mit dem Westen. Ich sehe aber sehr wohl eine langsam wachsende Kultur des Gebens. Jetzt ganz allmählich entstehen die mittelständischen Unternehmen, die ein Interesse an Standortpflege haben und eine hohe Identifikation dafür mitbringen.
Im übrigen bin ich als Kulturbürgermeister regelmäßig in der Wirtschaft unterwegs, schaue mir Produktionsanlagen an, versuche Verknüpfungen herzustellen. Beispiel Volkshochschule: hier haben wir im Vorstand zwei Mittelständler sitzen. Oder die Stiftung "Kunst für Dresden": der Stadtrat ist unserem Vorschlag gefolgt, in den Stiftungsrat Leute aus der Wirtschaft einzubeziehen. Das sind Versuche, ein neues Bewusstsein für den Zusammenhang von Kultur und Wirtschaft herbeizuführen.
Lassen Sie uns kurz auf die hochemotionale Diskussion um den Kulturpalast-Umbau kommen. Hier soll ein Konzertsaal entstehen, der für die klassische Musik optimiert ist. Was in den Grabenkämpfen der letzten Monate niemand aussprach: hier geht es ja eigentlich um eine Minderheitenkultur. Zu vier Heimspielen von Dynamo kommen mehr Dresdner, als die Philharmonie im ganzen letzten Jahr Zuhörer hatte. Wie kann ein demokratisch legitimiertes Medium wie der Stadtrat eigentlich über solche Fragen entscheiden?
Es ist schwierig, in diesen Fragen von Mehr- oder Minderheiten zu sprechen. Wenn Sie Kulturinstitutionen auf diese Art betrachten, könnte es schon wegen der Vielfalt der kulturellen Angebote sein, dass kaum eine davon überhaupt mehrheitsfähig ist. Gerade die Dresdner identifizieren sich jedoch mit ihrer Stadt als Hochkulturstadt, obwohl sie möglicherweise noch nie die Philharmonie besucht haben. Zum Kulturpalast stelle ich pragmatisch fest: wenn wir nichts tun, muss das Haus am 1.1.2013 baupolizeilich geschlossen werden.
Bei einem Bürgerentscheid hätte die Mehrheit aber vielleicht doch für eine Sanierung des Mehrzwecksaales gestimmt. Stimmt der Stadtrat gelegentlich am Bürgerwillen vorbei?
Solche Fragen sind hochspekulativ. Beim Bürgerentscheid über die Brücke waren Gegner wie Befürworter erstaunt, wie hoch letztendlich der Zuspruch für die Brücke war. Alle hatten sich verkalkuliert. Ich gehe davon aus, dass diejenigen, die die Entscheidung über den Kulturpalast-Umbau gern anders gehabt hätten, über einen Bürgerentscheid nachgedacht haben, und halte es für aufschlussreich, dass dieses Thema noch nicht einmal öffentlich thematisiert wurde.
Wie kann der Kulturpalast seiner Rolle als Volkshaus zukünftig noch gerecht werden? Um im Kostenrahmen zu bleiben, sind die nächsten Nutzungseinschränkungen – zum Beispiel der Wegfall des Plafonds – ja offenbar schon geplant.
Der Kulturpalast wird auch nach dem Umbau seinem Namen alle Ehre machen. Ich bin der Überzeugung, dass wir in der Kombination von Konzertsaal, Bibliothek und Herkuleskeule ein breites Kulturangebot unterbreiten, das nicht nur als enge Vorstellung von Hochkultur begriffen werden kann. Diese Kombination birgt das Potential, die Nutzer der verschiedenen Einrichtungen in ein Haus zu bringen, so dass sie sich gegenseitig wahrnehmen. Was die Finanzen betrifft: im Moment bewegen wir uns im Kostenrahmen. Was den Plafond anbetrifft: das ist eine der Fragen, mit denen sich die Fachleute gerade täglich beschäftigen. Es gibt ständig Abwägungen und schwierige Fragestellungen, die beantwortet werden müssen. Optimierungsmöglichkeiten spielen permanent eine Rolle.
Na, dann legen wir noch einmal nach: Andere Städte bauen akustisch hervorragende Konzerthäuser für einen Bruchteil des Geldes, das jetzt für die Sanierung des Kulturpalastes vorgesehen ist. Dabei hat der nach dem Umbau weder einen Proben-, noch einen Kammermusiksaal. Und ich zitiere einmal Christian Thielemann, der in einem Gespräch über einen möglichen neuen Konzertsaal in München sagte: "Unter 2000 Plätzen geht’s nicht, schon allein wegen der groß besetzten Werke, die Raum brauchen."
Die Behauptung am Anfang Ihrer Frage bedarf erst des Beweises. Aber schichten wir das sachliche Problem mal ein bisschen ab. Das Thema Probensaal ist ausführlich mit der Philharmonie besprochen worden. Die Musiker haben deutlich artikuliert, dass sie in dem Raum proben möchten, wo sie auch die Konzerte spielen. Ich habe mir das in anderen Städten angesehen: dort sind die technischen Einrichtungen so, dass es zwischen den Proben und Konzerten verschiedener Ensembles einen zügigen Gesamtablauf gibt. Es wird also wichtig sein, dass wir in dem neuen Saal die Hubpodien technisch so ausstatten, dass wir auch da einen zügigen Wechsel möglich machen.
Hinsichtlich des Raumvolumens ist festzustellen, dass dieses relativ unabhängig von der darin befindlichen Platzanzahl ist. Die beauftragten Akustiker haben gemeinsam mit den Architekten einen Saal entwickelt, dessen Gesamtvolumen eine erstklassige Akustik verspricht. Die Anzahl von ca. 1900 Plätzen ist entsprechend der bisherigen Auslastung im Kulturpalast ein wirtschaftlich vernünftiges Optimum.
Das Thema Kammermusiksaal ist ein Thema, an das ich zunächst vorsichtig herangehen möchte. Lassen Sie uns erst mal den sanierten Palast in den Dienst nehmen. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass es in zehn, zwanzig, vierzig Jahren das Bedürfnis nach einem Kammermusiksaal gibt. Und dann muß entschieden werden, wie das befriedigt werden kann. Aber ich möchte nicht, dass es uns geht wie dem Fischer und seiner Frau. Wir haben ein Projekt vor uns, das ein wichtiges Bedürfnis der Philharmonie befriedigt.
Abgesehen von logistisch kaum zu überwindenden Hindernissen – glauben Sie wirklich daran, dass die Staatskapelle mit ihrem Image von "Glanz und Klang seit 1548" in diesem Haus heimisch werden könnte?
Um das Image der Staatskapelle mache ich mir die wenigsten Sorgen, denn sie hat mit der Semperoper eines der bekanntesten Häuser, wenn nicht das bekannteste Haus in Dresden. Die Philharmonie hat es einfach verdient, eine Spielstätte zu bekommen, die ihrer Qualität angemessen ist. Die logistischen Fragen muss man sehr ernst nehmen, sie sind aber keineswegs unlösbar, denn schließlich haben bis 1992 Philharmonie, Staatskapelle und Brückenmännchen im Kulturpalast Platz gehabt. Dabei ist uns sehr bewusst, dass die Staatskapelle nicht behandelt werden kann wie ein x-beliebiges Gastorchester. Es hat Gespräche mit den Kollegen gegeben, und es ist vereinbart, auf der Ebene der Fachleute weiter zu diskutieren. Jetzt müssen wir mal sehen, was möglich ist.
Können wir davon ausgehen, dass mit der ausgesprochenen Einladung beide Orchester ihre Hauptspielstätte im Kulturpalast bekommen werden?
Nein. Die Staatskapelle ist eine Einrichtung des Freistaats und autonom in ihren Entscheidungen. Momentan gibt es keine Vereinbarungen, die die Aussage einer neuen Hauptspielstätte enthält. Wir führen wohl Gespräche mit der Staatskapelle zu der Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sie in diesem Saal spielen möchte. Dabei haben wir keine Bedingungen artikuliert, die auf ein bestimmtes Quantum an Veranstaltungen hinauslaufen; erst recht nicht, dass es inhaltliche Eingriffe seitens der Stadt gäbe. Ich bin sehr daran interessiert, dass beide Orchester in dieser Stadt ein gutes Auskommen miteinander haben. Die Heimstätte der Staatskapelle aber bleibt die Semperoper, einfach aus Gründen der Funktionalität. Über alles andere muss man in Ruhe reden.
Trotzdem: mit jedem "Gastspiel" der Kapelle wären die Möglichkeiten für die Unterhaltungskultur terminlich weiter eingeschränkt.
Das ist eine wichtige Frage. Da sind wir gerade dabei, uns noch einmal vieles anzusehen. Egal, wie man zum jetzigen Projekt des Umbaus steht: 2013-15 werden wir durch den Umbau verringerte Kapazitäten in Dresden haben. Allein für diese Zeit müssen wir die Auslastung der Messe austarieren, damit wir einerseits Messetermine nicht zu weit zurückfahren und andererseits mehr Raum für die Kultur schaffen.
Zu guter Letzt: Auf welche Highlights freuen Sie sich in der neuen Saison?
Ich mache keinen Hehl daraus: ich liebe Otto den Ohrwurm. Die Karten sind schon bestellt. Vier Tubas und Orchester, das wird wunderbar, ich besuche das mit meinen beiden Neffen und ihrer Großmutter. Das spannende an den Ohrwurm-Konzerten ist, dass es viele Erwachsene gibt, die sie für sich selbst als Bildungsveranstaltung wahrnehmen. Ansonsten genieße ich die unglaubliche Vielfalt des Dresdner Kulturlebens und versuche, so viel mitzunehmen wie möglich. Leider hat die Woche nur sieben Abende…
Herr Dr. Lunau, vielen Dank für das Gespräch.