Banken crashen? Griechenland schmiert ab? Den Berufsstress der Investment-Hedgefonds-Ratingagentur-Mitarbeiter herunterzukühlen, hilft in Daniel Smutnys Kammeroper »Ferne Nähe« (hier ein Ausschnitt von einer Probe) eine geheimnisvolle Lounge. Schlips- und zügellos tauchen hier die Finanzler (Olivia Stahn, Gunnar Brandt-Sigurdsson und Herman Wallén) nach Feierabend in einen Schaumstoffpool ab, in dem blaue Chillout-Lurche wohnen, die die kriselnden Angestellten körperlich beglücken. Bis die Chefin beim Molch-Kuscheln ihre Identitätskarte und damit sämtliche Privilegien einbüßt. Dann ist die Firma plötzlich pleite, das Licht geht aus – und die arbeitslosen Molche tun endlich das, worauf sie schon lange Lust hatten…
Sehr, sehr sinnliches Musiktheater hat Smutny hier aus romantischen Fragmenten und stilistischen Anspielungen zusammengestückelt. »Ferne Nähe« badet in saftigen Akkorden und eingängigen Kantilenen, sie setzt sich mit musikalischen Prägungen in Beziehung und verleugnet ihre Vorbilder Beethoven und Schubert an keiner Stelle. Titus Engel lässt das Dresdner Ensemble courage in der Besetzung Schubert-Oktett plus Fender-Rhodes-Piano farbig ausmalen, was der Komponist an Klanggerüsten offenbar bis zur letzten Minute geschärft, umgebaut und neu verschraubt hat. Stilistisch holpert es nämlich manchmal noch; die Oper krault lustig hierhin und dorthin. Aber wer nicht gründelt, bleibt hungrig: Der von Librettist Constantin von Castenstein aktualisierte Plot um die ewigen Themen Liebe, Tod und Eifersucht wirkt durch seine sprachliche Unverblümtheit ("FUCK!!") glaubhaft, bleibt aber zu oberflächlich. Die eigentliche Schlüsselfigur der Story, eine vom Bankenwesen unbeleckte Kindergärtnerin (Catrin Kirchner), ist charakterlich zu blass gezeichnet.
Locker-flockig kommt die Schaumstoff-Poolorgie der beiden Ausstatter Alexander Polzin und Nicola Minssen daher, und bietet, weil geräuschlos, vielfältige Bespielungsmöglichkeiten an – auch, wenn statt der drei verschiebbaren Sprungstege, die immer wieder hin- und hergeschoben werden, einer genügt hätte. Und bei den Kostümen (die Haupthelden in Batman- und Superman-Schlüppi) rutscht der Anspruch wieder auf Comedyniveau ab, wie auch Sommer Ulrickson in ihrer hierhin und dorthin tastenden Inszenierung insgesamt viel stringenter hätte zu Werke gehen müssen. Die Molch-Choreographien sind zu hölzern, An- und Abwesenheiten der Figuren nicht zu Ende gedacht. Welcher Angestellte würde denn seelenruhig am Poolrand Schaumstoffklötzchen stapeln, wenn Chefin und Freund gerade austicken? Das Uraufführungs-Publikum hätte zahlreicher sein dürfen. Die, die da waren, vergnügten sich im Anschluss mit Mann und Molch im Premierenzelt.
Eine Textfassung des Artikels ist am 8. Oktober in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.