Vorhang auf. 56 junge Frauen und Männer des Jungen Orchesters NRW unter der musikalischen Leitung von Ingo Ernst Reihl stimmen mit einer klassischen Ouvertüre auf den Abend ein. Über den Kulissen geht eine riesige Sonne auf. Studenten der Hochschule für Bildende Künste Dresden zeichnen für das Bühnenbild verantwortlich. Alle im ersten, klassischen, Teil der Gala auftretenden Künstler werden orchestral begleitet. Nicht nur für Polarkreis-18-Frontmann Felix Räuber „ein sehr emotionales Erlebnis“. Von den Moderatoren Ulla Kock am Brink und Rene Kindermann als Ausnahmekünstler angekündigt, intoniert er zwei Volkslieder. „Dunkle Wolken“ und „All meine Gedanken“. Wer so etwas von ihm noch nicht gehört hat, lauscht. Melancholisch? Mitnichten. Überhaupt soll es keine „tränendrüsige Veranstaltung“ werden, verspricht Ulla Kock am Brink.
Dresdens erkrankte Oberbürgermeisterin Helma Orosz überbringt Wünsche per Video-Botschaft und dankt allen Beteiligten. „Es ist wichtig, dass von Dresden ein Signal von Solidarität in die Welt geht“, sagt sie. Pfarrer Stefan Hippler, der sich seit der offiziellen Gründung am 29. Oktober 2001 für das AIDS-Projekt in Kapstadt engagiert, erklärt, wofür das Spendengeld unter anderem eingesetzt wird: Resistenztests und Gemüsegärten. „Denn nur wer satt und gesund ist, kann Hoffnung und Zukunft haben.“
Alle Künstler treten ohne Gage auf. Marshall & Alexander nennen sich selbst Glückskinder und geben stimmgewaltig einen Ausblick auf ihre im November in Dresden startende Tournee „La Stella – Show Italiana“. Die 16-jährige niederländische Trompeterin Melissa Venema muss zwar nach Rossinis anspruchsvollem „Una Voce Poca fa“ eine kurze Atempause einlegen, doch die wird für die Bekanntgabe der Zwischenspendensumme genutzt.
Die Entscheidung für ein Moderatoren-Paar erweist sich als glücklich. Auch wenn im Eifer des Gefechts manch verbaler Fehltritt passiert: live is live. Die lockere Plauderei lässt trotzdem die Ernsthaftigkeit des Gala-Anliegens nie vergessen. Pro Stunde sind in Afrika 400 AIDS-Neuinfektionen und 285 AIDS-Tote zu beklagen. 340 Kinder verlieren in innerhalb von 60 Minuten ein Elternteil. Eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes.
Nach der Pause hat nicht nur das Bühnenbild gewechselt. Townships bilden die farbenfrohe Kulisse.
Es wird lauter. Rockiger. Souliger. Y´AKOTO, eine 23-jährige Hamburgerin mit ghanischen Wurzeln, singt auf Englisch von einem Kindersoldaten in Uganda. „Ich bin Geschichtenerzählerin, keine Entwicklungspolitikerin wie meine Mutter“, erklärt die selbst ernannte „Botschafterin von Gefühlen“. Das ist glaubhaft und es geht unter die Haut. „Sie klingt wie
Amy Winehouse“, flüstert es nebenan. Stimmt. Und doch eigen. „Ich kann nicht bewerten, nur beobachten“, sagt die Musikerin. Wunderbar.
Regisseur Dieter Wedel, der im Anschluss die Laudatio auf die HOPE-Award-Preisträgerin 2011 hält, berührt mit klaren Worten, als er an Kurt Raab, Schauspieler aus dem Kreis um Rainer Werner Fassbinder und einer der ersten deutschen AIDS-Toten, erinnert. Preisträgerin Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D. würdigt er als eine der Ersten, die sich gegen AIDS in Deutschland engagiert haben. Die 74-Jährige ist völlig überrumpelt und nimmt sichtlich bewegt die Ehrung an. „Es war ein elender Kampf“, resümiert sie spontan, „es stimmt, dass anfangs überlegt wurde, auf welche Inseln die Erkrankten verfrachtet werden sollten.“ Aber immer habe es Menschen gegeben, die so etwas nicht zuließen. „Mensch, diese Sachsen“, ringt die Redegewandte schmunzelnd nach Worten. „Sie haben uns nicht nur im Parlament mitunter das Fürchten gelernt, in ihnen steckt auch Weltverbundenheit“, stellt sie anerkennend fest. Möge in Rom begriffen werden, dass nicht das Tabu weiterhelfe, sondern die Nähe zu den Menschen, wünscht sie. Und dass das Denken auf alle Menschen in Not übertragen werden solle.
„Down“ ist Schauspieler und Musiker Christian Friedel ganz und gar nicht. An gleicher Stelle im Vorjahr noch als musikalischer Geheimtipp gehandelt, begeistert er mit seiner neuen Band Woods of Birnam. Später laut und lange mit den Lokalmatadoren von Polarkreis 18. „Die Tänzerin“, gesungen von Ulla Meineke, begleitet von Edo Zanki und Schlagzeuger Ralf Gustke, wird untermalt von Vertikalakrobatin Marie Bitaroczky, die am Tuch eine atemberaubende Choreografie zeigt. Das ist Kunst. Das ist Gefühl. Das ist Synergie. Das ist Erinnerung und Hoffnung. Und genau das will die HOPE-Gala. Ziel erreicht. Beinahe. Denn noch steht eine Premiere bevor.
Ob die vom Berliner Musiker Dirk Zöllner arrangierte HOPE-Galaband jemals wieder in dieser Formation musizieren wird, ist fraglich. Zöllner-Urgestein André Gensicke, Jäcki Reznicek von Silly, Edo Zanki, Rolf Stahlhofen, Andreas Bayless, Gitarrist der Söhne Mannheims, und sogar eine einheimische Bläser-Formation hat er unter anderem versammelt. Sie plädieren für „Neue Wege“. Zunächst. Beim Edo-Zanki-Lied „Gib mir Musik“ wird die Losung „Locker machen!“ ausgesprochen. Das Publikum ziert sich nicht, tanzt auf den Rängen und singt mit. Spätestens hier fragt man sich, warum Soul-Barde Zanki seit über 15 Jahren nicht mehr in Elbflorenz aufgetreten ist. Aber: „Was wir alleine nicht schaffen… , … das schaffen wir dann zusammen… , … wir müssen geduldig sein… , … dann dauert es nicht mehr lang…“. Das gilt universell. Man kann das pathetisch finden. Naiv oder menschlich. Spirituell oder offenherzig. Ein grandioses Finale ist es auf jeden Fall. Eins, das Hoffnung transportiert und Mut macht.
Kurz vor Mitternacht wird die Spendensumme verkündet: 100.000 Euro. Davon können zum Beispiel über 1.500 AIDS-Patienten zwei Monate lang antiretroviral behandelt werden. Oder die dreimonatige Ausbildung für über 200 künftige Gesundheitsarbeiter bei HOPE Kapstadt wäre damit gesichert. Was als kleine Initiative begann, ist zum überregional bedeutenden gesellschaftlichen Großereignis avanciert. Mensch, diese Sachsen!