Die dazu ausgesandte Pressemeldung der Leipziger Oper klang reichlich trocken. Regisseur Konwitschny erkrankt, Verdis „Macbeth“ wird von Assistentinnen realisiert. Die eine, Heide Stock, hat diese Produktion bereits 1999 in Graz begleitet, die andere, Verena Graubner, arbeitet seit der Inbetriebnahme des Leipziger Opernmuseums wieder eng mit den Frühwerken des Chefregisseurs zusammen.
Ob Konwitschny-Inszenierungen von anderswo nach Leipzig umgesetzt werden sollen, ist dort noch immer ein Streitpunkt. Einerseits heißt es, das Haus solle nicht nur eine Bühne für Zweitverwertungen sein, andererseits wird die Möglichkeit, vor Ort ferne Regieleistungen nacherleben zu können, als durchaus positiv angesehen. Der internationale Ausstellungsbetrieb macht es doch vor: Wer scheut sich denn, temporäre Gastspiele berühmter Bildwerke zu besuchen, nur weil man sie in Bilbao, Florenz oder New York auch sehen könnte? Eben!
Insofern haben Nachnutzungen auch im Musiktheater ihre Berechtigung, zumal unter finanziellem Aspekt (sofern da tatsächlich gründlich gerechnet wird). Und nun kommt das Aber, nach dem das Resultat nicht vorsätzlich riechen sollte.
Eine irgendwo auf der Welt vor mehr als zehn Jahren geglückte Opernproduktion mag gut sein, aber die Leipziger Bühne ist groß, jedenfalls größer als die in Graz. Und so wird für die Eingangsszene der Hexenküche links und rechts einfach schwarz abgehängt. Bei Shakespeare und Verdi ging es um magische Wesen, die Furcht auslösen und mit ihren Prophezeiungen viel Unheil anrichten konnten. Hier steigen aus Herd, Kessel und Waschmaschine die Chordamen im Outfit langnasiger Girlies. Jeder sitzt ein Tier auf dem Buckel. Der eigentliche Zündstoff ihrer Schicksalsmacht verpufft unfreiwillig in Lächerlichkeiten.
Dennoch schrecken Macbeth und Banquo auf, als ihnen in ihrer wiederum lächerlichen Freizeitkrieger-Staffage die nächste Zukunft weisgesagt wird. Man ahnt, bei den anfangs sechzehn Kreidestrichen auf einer Tafel – jeder steht für einen Hexenmord – wird es nicht bleiben. Dass es gar nicht die vermeintliche Hexenkraft ist, sondern menschliche Machtgier und männliche Ängste, die Strich um Strich für neue Opfer sorgen, bleibt in bescheidenem Ansatz stecken. Umso „drastischer“ dann die blutigen Orgien selbst: Per Staubsauger aufgeblasene Papierschnipsel in Rot.
Natürlich lenkt Lady Macbeth ins Verderben, lässt erst König Duncan, dann dessen Leibwächter, bald auch Banquo und seinen Sohn meucheln. Nur bei letzterem geht dieser Plan nicht ganz auf … Weit jenseits aller Grenzen der Verzweiflung greifen die beiden längst unrettbar mit Schuld beladenen Macbeth’s zu den Waffen und legen in billiger Hollywood-Manier einen ganzen Chor aus Flüchtlingen flach. Damit diese Gräueltat auch jeder begreift, wird an dieser Stelle das Saallicht hochgefahren: Es geht euch alle an!
Was doppelt und dreifach enttäuscht bei diesem Resümee ist der Fakt, dass Peter Konwitschnys Musiktheater einst so anregend, ergreifend und nachhaltig Diskussionen auslösend war. Nach diesem trotz oder gerade wegen dieser schmierigen Hexenküche halbgaren „Macbeth“ ist man eher geneigt, rasch abzuwinken und zu vergessen. Das eher beliebige Bühnenbild von Jörg Kossdorf und die recht austauschbaren Kostüme von Michaela Mayer-Michnay können daran nichts dran ändern.
Vielleicht aber das Dirigat des nunmehrigen Generalmusikdirektoren-Intendanten Ulf Schirmer? Der geht das Drama packend an, lässt das Gewandhausorchester kraftvoll aufspielen – und verspielt damit alles an Italianità, was dieses berührende Werk aufzubieten hat. Oder gehabt hätte. Teutonischer kann man Verdi kaum interpretieren. Leider auch kaum wackeliger. Zwischen Bühne und Orchestergraben hapert es (zumindest in der Premiere) so heftig, dass bald nur noch ein gemeinsames Ende erhofft werden kann. Kommt aber auch nicht. Dem Schlussklang lauschen die Hexen am Kofferradio in ihrer Küche. Da hat das Gewandhausorchester (dessen Kapellmeister ein Italiener ist!) längst abgespielt …
Immerhin brilliert ein Marco di Felice als kraftvoller und dennoch emotionaler Macbeth, seine Lady Amarilli Nizza braucht einige Zeit, um sich von Angestrengtheit zu glaubwürdigem Wahnsinn zu steigern. James Moellenhoff als Banquo gibt sich als kerniger Bass, der stets auf der Hut zu sein scheint.
Das hätte manch anderen auch gut getan. Sollte vom einstigen „Opernhaus des Jahres“ nicht endlich mal wieder mehr zu erwarten sein als biederer Durchschnitt? Brave Leistungen, Nachahmung und Holperer gibt es auch anderswo.
Nächste Aufführungen: 4. Februar, 14. und 27. April 2012 (*)
(*) Auch diese rar gesäten Daten geben zu denken …