Die Empörung war groß in der Semperoper, am 11. Oktober 2008. Michael Hampes Inszenierung von Verdis „Il trovatore“ war selbst für Traditionalisten zu schlicht geraten. Man musste nicht mal ein Freund des Regietheaters sein, um zu sehen, dass mit Hampes Kommen, Gehen, Stehen, Singen und wieder Gehen, kein Opernstaat zu machen ist. Sänger sind keine Verkehrspolizisten, die mal den linken, mal den rechten Arm heben, um in die eine oder andere Richtung zu weisen.
In der Aufführung am letzten Montag mit Neubesetzungen der männlichen Hauptpartien erfuhr die durch endlose Umbaupausen sich dahin schleppende Aufführung wenigstens eine unfreiwillige Erheiterung. Die Sopranistin war weg. Der Vorhang hob sich zum zweiten Bild des dritten Teils. Auf Castellor wurde eine Flagge gehisst, der Troubadour erwartete seine geliebte Leonora. Aber sie kam nicht! Eine Weile ließ man den Tenor etwas dumm dastehen. Dann ging – ohne dass ein Ton gesungen wurde – der Vorhang wieder runter. Dann ging er wieder rauf, die Dame kam, der Tenor sang, und das Drama um kaum zu klärende Verwandtschafts- und Liebesverhältnisse ging seinem dreifach tödlichen Ende entgegen. Na so was vergisst man doch nicht!
Der Dresdner Sänger René Pape hat diese Woche in einer Tageszeitung Fragen beantwortet. Er hat drei Wünsche frei: Wein, Weib und Gesang. Er ist gegen Rassismus und Intoleranz, vertraut keinem Politiker, hat kein Vorbild, möchte mit niemandem tauschen, alles noch erleben und in seiner Grabrede einen Reim hören „Wer nicht liebt Wein, Weib und Gesang, der bleibt ein Narr ein Leben lang!“ Wann er mal wieder in Dresden singen werde, wird er nicht gefragt. Dabei hatte er in der gleichen Tageszeitung, anlässlich der Präsentation seiner CD „Gods, Kings & Demons“ mit der Staatskapelle vor vier Jahren gesagt, dass es für ihn an der Zeit sei, dahin zurück zu kommen, wo die Wurzeln sind. Und bevor ihn das Dresdner Publikum als Zar Boris Godunow königlich empfing, sagte er im Gespräch: „Ich werde versuchen, so oft als möglich in Dresden zu singen. Die Chancen der Zusammenarbeit gilt es zu prüfen, die Kompatibilität muss stimmen. An mir soll es nicht liegen. Ich singe gern hier.“ Was stimmt denn nun nicht mit der Kompatibilität am Dresdner Opernhaus?
An der Staatsoper Prag, die es seit 1. Januar dieses Jahres als eigenständiges Operntheater nicht mehr gibt, hatte ich in dieser Woche das Glück, Carl Maria von Webers scherzhafte Oper „Die drei Pintos“ zu erleben. Weber hatte das Werk nicht vollendet, Gustav Mahler machte das in seiner Leipziger Zeit als Kapellmeister und brachte das naive, aber liebenswerte Stück 62 Jahre nach Webers Tod in Leipzig auf die Bühne. In Prag, wo man Weber und Mahler schätzte, beide waren hier als Kapellmeister tätig, erfreuten die drei Pintos schon ein halbes Jahr nach der Leipziger Uraufführung das Publikum.
Die Prager Staatsoper, das schöne Theater oberhalb des Wenzelsplatzes, ist nun eine von drei Spielstätten für Oper und Ballett des Nationaltheaters. Vielleicht, die Zukunft wird es zeigen, eine Sparmaßnahme, die Sinn macht und künstlerisch vertretbar ist. Rocc, der neue künstlerische Direktor der Oper am Nationaltheater, sieht Chancen. Eine Direktion, eine Administration, ein künstlerisches Betriebsbüro und ein starkes Ensemble mit 50 Sängerinnen und Sänger. Beide Orchester und Chöre bleiben erhalten, insgesamt stehen 500 Mitarbeitende im künstlerischen Bereich zur Verfügung. Die Platzierungen künftiger Inszenierungen sollen in den jeweiligen Häusern dramaturgischen Gesichtspunkten folgen. Rocc betont künstlerische Vorgaben durch unterschiedliche Traditionen der Theater. Die Staatsoper, das ehemalige neue Deutsche Theater, war Ort der deutschen und der internationalen Oper. Im Nationaltheater an der Moldau wurden Opern des tschechischen Erbes und der Moderne uraufgeführt oder erstmals gezeigt. Im historischen Ständetheater brachte Mozart seinen „Don Giovanni“ zur Uraufführung. Naturgemäß bilden seine Opern hier einen Schwerpunkt des Spielplans.
Zu den DVDs, die zu Weihnachten ins Haus kamen, gehört ein Ballettabend. Das ist noch mal Tanz vom Feinsten: BelAir classiques präsentiert im Vertrieb von Harmonia Mundi mit dem Ballett der Pariser Oper aus dem Palais Garnier in einer Aufzeichnung vom September 2008 „Tribute to Jerome Robbins“, mit Klassikern des 1998 verstorbenen Choreografen wie „The Concert“, „In The Night“ und „El Sol“, sowie die Uraufführung „Triade“ von Benjamin Millepied. Ballett kann sehr lustig sein, etwa „The Concert“, in dem Robbins 1965 beim New York City Ballet die Träume und Angstträume eines Konzertbesuchers zur Musik von Chopin in regelrechter Comic-Manier auf die Spitze trieb. Die Pariser tanzen das prächtig und völlig staubfrei. Das gilt auch für die anderen Kreationen. Leider nicht dabei: das Meisterwerk von Robbins „Dances at the Gathering“. Aber schon im März kommt nach über 30 Jahren das New York City Ballet wieder nach Deutschland und hat selbstverständlich dieses Meisterwerk von Robbins, der bis zu seinem Tod Chef der Kompanie war, im Gastspielrepertoire. Von ihm stammt auch die Idee zum Buch für Leonhard Bernsteins „West Side Story“, selbstverständlich auch die Originalchoreografie, seit 1957 ein Renner am Broadway, nicht in dieser Woche, aber vor einem Jahr konnte ich mich auch hinreißen lassen.
Demnächst gibt es in der Semperoper die zweite Inszenierung der Oper „Lulu“ von Alban Berg. Es gibt etliche Aufnahmen des Werkes. Anja Silja, Helga Pilarczyk, Evelyn Lear, Teresa Stratas oder Patricia Wise gehören zu den bekannten Interpretinnen dieser mörderischen Sopranpartie. Patricia Wise sang die Lulu auch in der Dresdner Inszenierung. Für mich aber, auch wenn es sich bei der Aufnahme noch um die unvollendete zweiaktige Fassung der Oper handelt, bleibt die Aufnahme der Hamburgischen Staatsoper von 1968 unter der Leitung von Leopold Ludwig unerreicht. Einmal fasziniert mich der Live-Charakter, zum anderen ein ausgezeichnetes Ensemble, vor allen Anneliese Rothenberger in der Titelpartie. Das macht ihr so schnell Keine nach. Selbst Anja Silja soll nach einer Münchner Aufführung mit der Kollegin gesagt haben: „Mein Gott, die singt ja alles, was da steht.“ Und nicht nur das, die Rothenberger sang das mit überzeugender Natürlichkeit, lyrisch, ihrem unvergleichlichen Mozart- und Straussgesangsstil verpflichtet. Keine gekreischten, keine gestemmten, keine schrillen Töne, die gerne als charaktervolle gelobt werden. Das Dokument mit Anneliese Rothenberger beweist durch die Intensität des Gesanges und die Natürlichkeit der Dialoge dass die Partie der Lulu vor allem eine Gesangspartie mit Passagen von mörderischer Unschuld ist. Der Mitschnitt aus Hamburg von 1968 ist bei der EMI in Stereofassung 1997 wieder aufgelegt worden.
Herzlich, bis Montag, Boris Gruhl