Maestro, am Wochenende wird das Publikum im Kulturpalast mit vertrauten Klängen empfangen: Mendelssohns "Italienische" Sinfonie steht auf dem Philharmonie-Programm. Spätestens im zweiten Satz werden sich die Zuhörer erstaunt die Ohren reiben…
Mendelssohn hatte seine "Vierte" ja mit Riesenerfolg in London aufgeführt. Aber plötzlich war er nicht mehr zufrieden mit ihr! Nach einem Jahr hat er am zweiten, dritten und vierten Satz viel herumgeändert. Für den ersten hatte er irgendwie keine Zeit.
Nun kenne ich keinen, der mit der "Vierten", wie sie in London erklang, unzufrieden wäre. Warum dirigieren Sie die geänderte Fassung?
Mein Gefühl ist: der 2. Satz klingt in dieser Form viel melancholischer. Der dritte Satz trägt die neue Tempobezeichnung "con molto grazioso", das macht ihn viel luftiger. Sie haben ja recht, überall in der Welt kennen die Leute das "Produkt" Mendelssohn, haben es tausendmal gehört…
…und werden die bekannte Fassung der "unvollendeten", neuen vielleicht vorziehen.
Ach, vielleicht sitzen die Leute auch am Samstag im Kulturpalast und hören gar nicht sofort, was neu ist. Aber ich finde, wir sollten uns fragen, warum Mendelssohn die Musik geändert hat. Diese Fassung klingt in meinen Ohren viel moderner als die erste! Nur weil der erste Satz fehlt, dürfen wir die Änderungen nicht vernachlässigen. Der Komponist sollte das Recht haben, nach Gefühl und Herz zu ändern. Das müssen wir anerkennen.
Wie vermitteln Sie den Musikern die Änderungen der Partitur? Nicht zuletzt ist die neue Fassung hörbar länger als die Londoner.
Die Musiker gehen sehr aufmerksam mit den Änderungen um, und ich finde es gar nicht schlecht, wenn man sozusagen einen ganz neuen Blick auf das alte Werk wirft. Jedes Mal, wenn ich mit einer Partitur arbeite, fange ich eigentlich von Null an; ich freue mich auf den Schatz, der da vor mir liegt, und den ich heben kann. Zum Glück habe ich viel Zeit, in den Text einzutauchen. Ich kann bei den Proben Balancen austesten, mit Phrasierungen, mit Strichen arbeiten. Das ist viel schöner als zweimal in der Probe von vorn bis hinten durchgespielt, Frack anziehen, zack, durch, und Applaus.
Im Konzert kombinieren Sie zwei Tonsetzer, die sonst nicht viel gemeinsam haben. Geht das gut?
Man muss schon sehr sensibel kombinieren, besonders, wenn zeitgenössische Musik ins Spiel kommt. Wer passt zu wem, wie bringe ich vielleicht auch mal Strawinski, Henze, Berio oder Schnittke unter, ohne dass für die Veranstalter das Risiko zu groß wird. Die Finanzen spielen ja eine große Rolle bei der Planung, es ist also eine sehr delikate Arbeit. Und richtig gefährlich: ein Komponist kann den anderen im Konzert töten!
Ist das am Wochenende zu erwarten?
Nein, nein, ich glaube, Mendelssohn und Bruckner sind eine ideale Kombination. Bei Mendelssohn klingt alles sehr transparent, sehr sichtbar, sehr klassisch. Er baut eine empfindliche Brücke zu Bruckner. Dessen Musik erinnert mich an ein klassisches Gebäude mit perfekter Statik. Der Dirigent darf hier nicht 'nach Gefühl' etwas nach links oder rechts schwanken. Wenn mir ein Kollege sagt: "Ich spüre das, das muss so und so sein…" – das ist amateurhaft und tödlich für diese Musik. Bruckner – das ist wie eine Röntgenaufnahme des Orchesters. Es sollte stabil stehen können, frische Lungen haben, alles wird sichtbar. Bei Mendelssohn dagegen ist alles so raffiniert und charaktervoll ausbalanciert, die Instrumente spielen mit Leichtigkeit, aber seriös. Es macht wirklich großen Spaß, diese beiden in einem Konzert zu präsentieren. Weil es keinen Solisten gibt, ist das Orchester der Solist. Und muss für den Bruckner auch seine ganze Virtuosität aufbieten.
Die Philharmonie ist gesund und frisch; aber sie wird bald aus ihrem Stammhaus geworfen. Ob die Probenbedingungen, auf die Sie so viel Wert legen, dann noch gegeben sein werden?
Sehen Sie, das macht mich ganz wütend. Dresden ist eine Stadt mit einer solchen Kulturtradition. Und dann stehen die Philharmoniker auf einmal ohne eigenen Saal da? Das ist eine Schande! Meine Güte, wo man hinguckt, werden Konzerthäuser gebaut, in Spanien, in Japan, auf den Kanarischen Inseln, in Skandinavien. Ich hatte noch schwarze Haare, da fing die Diskussion hier in Dresden schon an. Das Orchester hat diese kleinlichen Diskussionen nicht verdient. Die Musiker schaffen so eine tolle Atmosphäre, in den Proben und im Konzert geben sie alles – und nichts kommt von der Politik zurück. Das verstehe ich nicht, aber ich sage voraus: wer in dieser Richtung spart, verliert die Gunst der Leute schnell. Und es ist ja nicht der einzige Punkt: ich habe auch von meinem jungen Kollegen Carulli aus Radebeul gehört, dessen Orchester momentan abgewickelt wird. Dieses Dominospiel ist sehr gefährlich, nächstens kommen andere Städte an: wenn es in Dresden geht, machen wir das auch so. Die Regierung sollte vielleicht noch einmal überlegen: wie kann man der Stadt schnell und gut helfen? Dresden braucht die Kultur. Ob die Musiker mal an Frau Merkel schreiben sollten?