Er hat es gewagt. Isang Enders hat sich getraut. Nein, nicht standesamtlich oder gar religiösen Traditionen gemäß – auf diesen Seiten werden keine Privatissimi enthüllt, sondern Informationen zu musikalischen Themen gegeben –, Isang Enders hat sich getraut, eine Auszeit zu nehmen. Ein Wagnis? Dem Musiker haftet schließlich noch immer die öffentliche Wahrnehmung an, im Alter von nur zwanzig Jahren die seit mehr als einem Jahrzehnt vakante Stelle als Erster Konzertmeister Violoncelli der Sächsischen Staatskapelle Dresden angetreten zu haben. Für eine Musikerlaufbahn ist dies eine enorme Hürde, nach der jeder weitere Schritt wohlüberlegt sein will.
Da wiegt einerseits die Verantwortung gegenüber den namhaften Vorgängern auf dieser Stelle sowie gegenüber allen Orchesterkollegen; andererseits lastet womöglich die Frage, ob das jetzt immer so weitergehen soll. Denn wer in derart jungen Jahren dort angekommen ist, wo Isang Enders schon stand, könnte ja in die Gefahr geraten, es sich bequem zu machen und sich sozusagen einzurichten. Aber ein Künstler hat auch Verantwortung gegenüber der eigenen Person und gegenüber dem Publikum. Da liegen gewiss auch Gedanken nach einer Veränderung begründet.
In Absprache mit der Staatskapelle und ihrer künstlerischen Leitung hat der 1988 in Frankfurt am Main geborene Musiker, der beizeiten eine international geprägte Ausbildung absolvierte, zu einem sogenannten Sabbatical entschlossen. Orchesterdirektor Jan Nast hat dafür großes Verständnis: „Isang Enders ist ein außerordentlich hochbegabter Künstler, er hat mit 19 Jahren die Konzertmeisterakademie gewonnen und nur wenig später den Konzertmeistervertrag erhalten, ist also nicht nur als fantastischer Cellist in unserem Orchester tätig, sondern auch für die gesamte Instrumentengruppe verantwortlich. Das kostet viel Kraft, da ist es legitim, wenn man mal den Kopf rausnehmen will.“
Offenbar nutzt Enders die so gewonnene Zeit, viel Kammermusik zu machen und als Solist zu agieren. Irgendwann könnte eine Antwort auf die Frage anstehen, ob das der künftige Weg sei. Die Entscheidung scheint offen.
Für Jan Nast steht jedenfalls fest, auch künftig junge Talente rechtzeitig zu sichten und, wenn möglich, zu fördern. „Wenn die erst einmal künstlerisch anerkannt sind und ihr soziales Umfeld woanders ausgebaut haben, sind sie für Dresden verloren.“
Das ist Isang Enders allerdings keineswegs: Er wird gleich zu Beginn der kommenden Spielzeit im 2. Symphoniekonzert Antonín Dvoráks Cellokonzert h-Moll unter der musikalischen Leitung von Zubin Mehta aufführen und auch wieder zu den Internationalen Schostakowitsch-Tagen in Gohrisch mitwirken. Darüber hinaus sieht er sich überregional zunehmend gefragt, gastiert bei den Stuttgarter Philharmonikern, den Prager Philharmonikern, beim Heidelberger Frühling, den Festspielen Mecklenburg-Vorpommern sowie beim Dvorák-Festival in Prag und zum Rheingau-Musikfestival.
Bleibende Eindrücke des Solisten Isang Enders, der dank einer Stiftung ein mit „Joseph Gagliano, Neapoli 1720“ bezeichnetes Instrument spielen darf, gibt es auch bald auf dem CD-Markt, wo unter dem Titel „Mit Myrten und Rosen“ eine Einspielung von Werken Robert Schumanns und Isang Yuns zu erwarten ist. Musik in Dresden wird sich diese CD mit Sicherheit sehr aufmerksam anhören.
Wir dagegen nehmen uns keinerlei Auszeit, sondern verbleiben mit besten Wünschen: Bis nächsten Freitag –
Michael Ernst