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Große Sprünge

Große Sprünge sind im Ballett nicht ungewöhnlich, sie erfreuen das Publikum, mitunter so sehr, dass es die Tänzer spontan mit begeistertem Beifall belohnt. In Deutschland ist das nicht so üblich, geschieht aber immer öfter. Kein Vergleich aber zu Ballettabenden in Moskau oder St. Peterburg, in Paris oder seit einiger Zeit in Wien, wo Ballettchef Manuel Legris das Wiener Staatsballett aus dem Dornröschenschlaf erweckt hat.

Eigentlich fährt man ja nach Wien, um in die Oper zu gehen oder ins Konzert. Ich war auch eigentlich zur Premiere von Verdis „Don Carlo“ gekommen, und natürlich, um René Pape als Filippo II zu erleben.
Am Abend zuvor aber gab es einen Ballettabend in der Staatsoper. „Juwelen der Neuen Welt II“, Choreografie von Balanchine, Neumeier, Tharp und Forsythe. Balanchines „Rubies“ und Forsythes „The Vertiginous Thrill of Exactitude“ werden auch vom Semperoper Ballett getanzt. Neumeier, viele Jahre gut vertreten mit Handlungsballetten hat jetzt erst mal Pause in Dresden; von Twyla Tharp haben wir hier, abgesehen von einer Choreografie im Rahmen eines Gastspiels der Tanzstudenten der New Yorker Juilliard School of Dance, im Rahmen der Musikfestspiele, eigentlich noch nichts gesehen. Nun ja, man kann nicht alles haben.

Dass wir in Dresden aber wunderbare Tänzerinnen und Tänzer haben, die Forsythes Stil beherrschen, das ist nicht zu leugnen. So toll auch die Wiener Solistinnen in ihren lustigen Tellerröckchen agierten, es den beiden Herren in keiner Weise an technischer Perfektion mangelte: mitunter schlichen sich doch die Dresdner Eindrücke bei mir ein, und ich hatte den Eindruck, das kleine Forsythe-Glück wäre fast vollkommen, wenn jetzt hier noch solche Ausnahmeerscheinungen zu erleben wären wie Claudio Cangialosi oder Jón Vallejo.

Und in diesem Zusammenhang bestätigt sich mein Eindruck zum Ende der Saison, nach Besuchen von Ballettpremieren und Aufführungen in Berlin, München, Stuttgart oder jüngst in Wien: die Dresdner haben einen großen Sprung gemacht und es ist an der Zeit dies wahrzunehmen! In Dresden wird derzeit auf hohem Niveau getanzt. Der verklärende Blick muss nicht nur in die Vergangenheit gehen. Palucca und Wigman hatten ihre Zeit. Und wenn der Blick doch und vor allem nachvollziehbar in die Vergangenheit geht, dann lieber so wie im jüngsten Ballettabendabend der Semperoper, der sich als eine Hommage an die Revolutionäre des Tanzes aus Russland versteht und dessen Titel „Les Balletts Russes – Reloaded“ nicht nur modisch gemeint ist, sondern hält was er verspricht.

Aber zurück nach Wien, an die Staatsoper, Premiere „Don Carlo“. Große Stimmen über kräftigem Orchester in einer eher belanglosen Inszenierung von Daniele Abbado. Ramón Vargas in der Titelpartie, Simon Keenlyside als Rodrigo, Krassimira Stoyanova als Elisabetta, Luciana D´Intino als Eboli und René Pape. Sein Filippo II ist eine Sensation, gesanglich und darstellerisch.

Natürlich frage ich mich, warum wir ihn in einer solchen Partie nicht auch mal in Dresden erleben konnten oder können. Auch in der neuen Saison wieder nichts mit Pape in der Semperoper. Verdis „Don Carlo“ gibt es im Oktober und im Januar je dreimal, als Filippo II ist Matti Salminen angekündigt, das ist ehrenwert, aber dürfte dieser verdienstvolle Sänger nicht inzwischen die Würde eines Großinquisitors verdient haben?

Halten wir uns an die jungen Talente. In wenigen Wochen beginnen die Salzburger Festspiele. Im Rahmen dieses Hochglanzfestivals findet das Young Singers Projekt statt. Sechs Wochen Aufenthalt für junge Sänger, Workshops, Meisterkurse, Proben und Aufführungen, auf den selben Brettern wie die Stars. In diesem Jahr ist Dresden vertreten. Valda Wilson ist dabei, die australische Sopranistin aus dem Opernstudio hinterlässt beste Eindrücke, leider findet sich ihr Name für die neue Saison nicht mehr in den Besetzungslisten der Staatsoper. Der Tenor Manuel Günther hat an der Hochschule für Musik in Dresden studiert und wird künftig dem Opernstudio der Hamburgischen Staatsoper angehören. Für sechs Wochen im Sommer geht auch er nach Salzburg. Na dann, schönen Sommer!

Herzlich,
Boris Gruhl