Christian Thielemann ist angekommen. Es ist nicht zu übersehen, zu überhören ist es im Antrittskonzert auch nicht.
Das Semperoper Ballett ist schon eine ganze Weile da und eröffnete am Freitag mit einer rasanten Repertoireaufführung die Tanzsaison in der Semperoper. Getanzt wurde ein Klassiker, „La Bayadère“, Die Tempeltänzerin, mit der Musik von Ludwig Minkus, in der Fassung von Ballettchef Aaron S. Watkin und Francine Watson Coleman, die sich choreografisch am 1877 in St. Petersburg uraufgeführten Original orientiert und den Meister des klassischen Balletts, Marius Petipa, gebührend würdigt. In Dresden müssen wir auf den andernorts oft gestrichenen fünften Akt nicht verzichten. Es war die 29. Aufführung seit der Premiere am 30. November 2008.
Die Vorstellung war ausverkauft; heimische Ballettfreunde und Gäste begrüßten die Staatskapelle und den Dirigenten David Coleman, der auch die musikalische Fassung verantwortet, ausgesprochen herzlich. Der Funke sprang sofort über, und der Abend gestaltete sich in zunehmender tänzerischer und klanglicher Dynamik zu einem immer stärker mit vielfachem Szenenapplaus bejubelten Tanzfest.
Die Geschichte ist schlicht: Der edle Krieger Solor verliebt sich in die schöne Tempeltänzerin Nikija, die wiederum auch von einem Brahmanen geliebt wird. Solor soll Gamsatti heiraten, Tochter eines Radschas, hat aber nicht den Mut nein zu sagen. Gamsatti lässt der exotischen Rivalin einen Korb mit Blumen überreichen und hat zwischen den Blüten eine Giftschlange drapiert. Ein Biss genügt, die Rivalin ist tot, lebt aber in umso schöneren Fantasien in Kopf, Herz, Seele, und überhaupt, im edlen Krieger weiter. Da hilft nur ein kräftiger Zug aus der Opiumpfeife. Schon ist er im Königreich der Schatten, tanzt im allerschönsten Rausch einen der grandiosesten Pas de deux der Ballettgeschichte mit der Geliebten. Dann aber, erwacht und feige in der Nüchternheit, heiratet er nach Plan. Da hilft nur noch ein göttliches Erdbeben! Der Palast aus Lügen a là Bollywood stürzt mit Getöse ein – aus den Trümmern schwebt die Bayadère und der edle Krieger ihr entgegen. Ob's glücklich endet, verbirgt Theaternebel; der klingelnden Apotheose nach aber kommen sie zusammen, der Krieger und die Tempeltänzerin.
Exotik, Love and Peace – und an Erotik fehlt es auch nicht, jedenfalls wenn so spitzenmäßig getanzt wird wie an diesem Abend, mit Elena Vostrotina als Nikia, Dmitry Semionov, als Gast vom Staatsballett Berlin, in der Partie des Kriegers, Sangeun Lee als Hamsatti und ganz in Gold, mit Goldmedaillensprüngen, István Simon, als das Goldene Idol. Und zu den edlen Solistinnen und Solisten kommen die Mitglieder des Corps de ballet mit den neuen Mitgliedern und den neuen Eleven.
Für eben jenen Opiumtraum hat sich Monsieur Petipa etwas Besonderes einfallen lassen, vielleicht der genialste Einfall des Meisters der Kunst in Spitzenschuhen. Wenn der Krieger im Rausch wegdämmert, träumt er sich in das berühmte Königreich der Schatten. 24 Ballerinen in Weiß gleiten in eleganten Variationen auf Spitze zu einem musikalischen Motiv über eine Schräge von der Seite auf der hinteren Bühne in 24 Wiederholungen herab, bis sie den ganzen Raum füllen. Das kann sich nur eine Kompanie zutrauen, der die technischen Ansprüche dieser Unmenge an Synchronbewegungen keine Probleme bereiten. Die Beherrschung der Technik allein bringt aber nicht die Atmosphäre eines berauschten Traumes auf die Bühne, die Eleganz, die Leichtigkeit, vor allem ein zarter Hauch von flüchtiger Schönheit gehören dazu. Und in diesen weißen Rausch aus Tüll und herrlichem Spitzentanz komponierte Petipa die Variationen dreier Solistinnen. In Dresden wunderbar: Arika Togawa, Sarah Hay und Yuki Ogasawara. Den schon erwähnten berühmten Pas de deux mit dem zärtlichen Entrée und folgendem Adagio, die atemberaubenden Variationen mit Sprüngen und Pirouetten für den Ballerino und die Ballerina krönt eine abschließende, furiose Coda. Das Publikum tobte, zu Recht, Elena Vostrotina und Dmitry Semionov tanzten grandios. Am Ende einhelliger Jubel fürs ganze Ballett, weitere Bravi für Sangeun Lee und natürlich für den Goldjungen István Simon, der übermütig und gekonnt noch mal in den Schlussapplaus sprang. Standing Ovation für die Staatskapelle, David Coleman und das Semperoper Ballett.
Am 4. September, zum kleinen Jubiläum, in der 30. Vorstellung „La Bayadere“, tanzt Jiří Bubeníček die Partie des edlen Kriegers.