Geredet wird nicht. Aber gerufen. Und wie. Ein Tänzer bringt die Leute zum Lachen. Als wäre Tarzan unter die Jodler gegangen produziert er urige Laute.
Dazu drei Soli für Herren vom Feinsten. Ach, wenn Forsythe seine phantastischen Tänzer tanzen lässt, dann geht die Post ab. Fortan werden in der Dresdner Version von „Whole in the Head“ sieben Mitglieder der Company für eine halbe Stunde unsere ungeteilte Aufmerksamkeit haben. 2010 kam dieses Stück in Frankfurt heraus, bezieht sich aber auf eine sehr frühe Arbeit, die Forsythe inzwischen mehrfach beschäftigt hat, „Die Befragung des Robert Scott †“, von 1986.
Inzwischen ist daraus so etwas wie eine tänzerische, lustvolle Befragung der bewegten Ausdruckmöglichkeiten geworden, der Einzelne oder die Einzelne in vielen Korrespondenzen zu allen anderen der Gruppe. Geschichten werden nicht erzählt, aber wenn sie bei uns im Kopf entstehen, kann das nicht so ganz gegen die Intentionen des Meisters sein. Er will uns mit seiner Kunst ja wohl zum Sehen befreien, was ja letztlich auch viel mehr Spaß macht als immer wieder zu sehen was wir schon gesehen haben. Es sei denn, wir sehen wie in diesem Stück Momente und Varianten aus dem Repertoire des neoklassischen Tanzes so, dass wir sie zu kennen meinen, und dann doch überrascht sind, wie lustvoll es sich dabei zuschaut, wenn dem Balanchine Bandagen verpasst werden. Am Ende dann noch mal ein kräftiges „Ghoohwahh“ oder so, jedenfalls wieder so etwas tarzanmäßiges, dann ist Schluss mit Teil I und im vollbesetzten Saal des Hellerauer Festspielhauses ist es mucksmäuschenstill. Fünf Minuten Pause, da wird auch nur geraunt.
Es geht weiter mit „Stellenstellen“, im Februar dieses Jahres ebenfalls in Frankfurt uraufgeführt, als Dresdner Premiere. Tarzan ist wieder dabei. Er spielt jetzt E-Gitarre, manchmal kratzt er ganz zart, dann reißt er auch mal richtig rum an den Saiten. Wieder so ein irres Solo. Der Tänzer ist total gut drauf, Bewegung, Eroberung des Raumes, die Höhe, der Boden, die Akzente der Musik, hier hat einer seine Stelle gefunden. Und dann wird’s richtig lustig. Ein anderer ist fasziniert vom kleinen Fussel auf dem Boden, und dieweil der eine den Boden unter sich lassen will, will der andere nichts weiter als den Fussel vom Boden verbannen. Ein Fussel kommt selten allein, das Spiel kann dauern. Dann unterziehen sich in unterschiedlichen Konstellationen zwölf Tänzerinnen und Tänzer einer regelrechten Verhaltenschoreografie auf dem Tanzteppich, umgeben von Thom Willems´ Soundteppich, beim Verhaltenschoreografen Forsythe.
Wo ist meine Stelle im Raum, natürlich immer da, wo ich gerade nicht zur Stelle bin, also gibt es hier kein Stellenanrecht. Natürlich müsste man immer da sein, wo man nicht ist. Wer meint, so können sich doch Menschen, selbst Tänzer nicht, verknoten wie auf den Plakaten der ForsytheCompany wird hier belehrt. Sie können. Sie müssen es können, wenn sie hier „Stellenstellen“ tanzen. Dein Bein oder mein Bein, oder Bein von meinem, oder wessen Bein, und ist das jetzt dein Kopf oder mein Kopf auf unseren Schultern. Ja, das sind die sie, die berühmten Körperknoten, die dann da auf der großen Bühne liegen wie aufs Land geworfene Wesen aus dem Meer. Manchmal erhebt sich so ein Menschenknoten und tanzt sogar auf zwei Beinen, die jeweils einem anderen entwachsen sind. Das ist dann wohl die höchste Kunst des Pas de deux, da hat ja nicht mal Cranko dran gedacht. Auch hier, wie schon im ersten Teil, Tanz mit Hindernissen, vier Herren auf halber Spitze oder ganzer Sohle, im flinken Wechsel, geschwind, vorwärts und rückwärts, vielleicht ist Tanz doch ein bisschen Hexerei. Und dann geht’s auch mal richtig ans Gefühl. Fünf Knoten am Boden, eine Tänzerin steht unverknotet, einsam da wie Sterntaler, dazu der schönste Sehnsuchtssound.
Und weiter geht’s, Stellen, Stellen, Tanzen, Tanzen, das Stück hört auch mal auf, nach einer Stunde, fünf Minuten. Zu Ende ist es nicht. Was hülfe auch nur eine Stunde Verhaltenschoreografie.
Nächste Aufführungen in Hellerau: 20., 21., 22.09., 20.00 Uhr