Na, diese beiden Herren mit den exzellenten hohen Stimmen kenn wir doch in Dresden! Max Emanuel Cencic eroberte in Jens Daniel Herzogs witziger Inszenierung von Händels „Giulio Cesare in Egitto“ als intriganter Bruder der schönen Cleopatra die Herzen der Dresdner im Sturm. Nicht anders der junge Countertenor Valer Barna-Sabadus, ganz und gar nicht divenhaft, sondern mit jünglingshafter Raffinesse in der Partie des Liscione, einem Doppelgänger des Adonis, in Giovanni Battista Martinis Intermezzo „La Dirindina“ – Die Dilettantendiva.
Jetzt haben sie die Hosen aus- und die Röcke angezogen. Als Mandane (Cencic), Schwester des Titelhelden Artaserse und Semira (Barna-Sabadus), dessen Schwester, brillieren sie in der Weltersteinspielung des Barockspektakels „Artaserse“ von Leonardo Vinci, dem es nur vergönnt war 36 Jahre alt zu werden. Den Text zum Dramma per musica schrieb Pietro Metastasio, die Uraufführung fand 1730 in Rom statt. Im gleichen Jahr starb Vinci – Umstände ungeklärt. Sein letztes Werk ist das bedeutendste. Höchste Zeit für eine Einspielung; und die liegt jetzt vor.
Es handelt sich um einen beliebten Stoff. Galuppi, Händel, Johann Christian Bach, Hasse, Scarlatti und Vivaldi haben ihn auch vertont, und das sind nur die bekanntesten. Im Mittelpunkt: der Perserkönig Artaxerxes, 5. Jahrhundert v.Chr., der Mord an Xerxes, König der Perser, um nämlichen Artaserse an die Macht zu bringen. Intrigen, Komplotte, Missverständnisse, Liebe und Verrat, ein vergifteter Trank, der beinahe den unschuldigen Sohn des Königsmörders Artabano das Leben gekostet hätte. So ist das eben in der Oper: erst morden, dann gestehen, dann Gnade vor Recht, die Liebenden kommen doch noch zueinander… Alles gut geeignet für ein Finale, in dem virtuos der Sieg von Gerechtigkeit und Güte gepriesen werden muss.
Und wie hier gepriesen wird! Das Finale nach drei Akten, scena ultima, mit Solisten und Chor, Pauken und Trompeten, lässt ausklingen, was mit dem knappen Vorspiel vehement und mitreißend begann. Dieses Allegro zu Beginn ist von solcher Spiellaune, dass man einfach weiter hören will. Mag die Handlung auch schematisch sein – sie bietet genau jene Anlässe, die nötig sind um die ganze Skala der Effekte und Raffinessen barocker Gesangs- und Instrumentalkunst auszukosten. Immer wieder werden die Sänger in Rasereien getrieben, gilt es Koloraturen perlen zu lassen oder wie grelle Blitze zu schleudern. Dann auch verhaltene Passagen zarter Gefühle. Und erst die Rezitative! Die Dialoge immer wieder in der Kunst des Recitativo accompagnato; nein, an Kurzweil ist in diesen reichlichen drei Stunden kein Mangel. Der Spannungsbogen reißt nie ab; dafür steht ein ausgewiesener Meister der Barockoper, Diego Fasolis, am Pult. Und Meister ihres Faches, allesamt sind die 25 Instrumentalisten des Concerto Köln, dazu der Coro della Radiotelevisione svizzera aus Lugano.
Man ist beim Hören immer wieder verblüfft. Alte Musik? Hier klingt gar nichts alt oder gar altmodisch, hier kann man eher etwas vom Sound der Gegenwart vernehmen, von der Lust und der Spielfreude kraftvoller Rock- und Rapästhetik. Und natürlich die Sänger_ ein Gipfeltreffen der Countertenöre und ein Tenor der Sonderklasse. Dass Daniel Behle ein Meister zeitgemäßer Tenoransprüche ist, konnte man wissen; dass er dazu ein Spezialist des Barockoperngesanges ist, dokumentiert er mit dieser Einspielung als Mörder Artabano.
In der Titelpartie Philippe Jaroussky, kernige Eleganz eines Countertenors, Franco Fagioli als dessen Freund in ebenbürtigem Gesang. In der kleineren Partie des Generals der Persischen Armee überzeugt der ukrainische Countertenor Yuriy Mynenko. 2007 erlebten wir ihn in Dresden als Finalisten beim Competizione dell´Opera. Einen Preis bekam er damals nicht, seiner Karriere hat das nicht geschadet. Erstaunlich, wie geschmackvoll Max Emanuel Cencic und Valer Barna-Sabadus sich in den Partien der Frauen bewähren, ganz ohne Kinkerlitzchen, allein durch die Feinheiten ihrer Gesangskunst, die sie in die Nähe der Sopranisten aufsteigen lässt, entsprechen sie weiblichem Gestus mit einem Schuss barocker Spektakeltheatralik.
Somit folgt die vorliegende Aufnahme den Vorgaben der Uraufführung. Frauen durften damals in Rom nicht auf die Bühne. Heute ist das kein Problem. Aber vielleicht sollten die Herren der hohen Gesangskunst doch wieder ab und an zurück erobern, was einst für sie geschrieben wurde.
EMI Records Ltd/Virgin CLASSICS 2012
Leonardo Vinci: Artaserse
Dramma per musica
Text von Pietro Metastasio
Veröffentlichung: 12.Oktober 2012
(Hier hineinhören)