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Kulturverrückte Nachbarn

"Toll! Die Stadt Dresden hat zwei Orchester." Diesen Satz lernen japanische Deutschschüler seit kurzem, wenn sie nach dem jüngst erschienenen Deutsch-Lehrbuch  ダンケ・シェーン,ドレスデン! ("Danke schön, Dresden!") unterrichtet werden. In aller Bescheidenheit ist der Verfasser, Prof. Akiyoshi Shikina, da etwas zu korrigieren: Dresden hat, grob geschätzt, bestimmt ein gutes Dutzend Orchester. Die Staatskapelle und die Philharmonie sind sicherlich die bekanntesten. Aber es ist die Vielfalt, die die Kulturstadt Dresden reich und schön macht!

Auch deswegen stößt die aktuelle, von Vorab-Veröffentlichungen des CDU-Kreisparteitags befeuerte Debatte um eine Verschiebung des "Kraftwerk-Mitte"-Projekts bei Musikern wie der gesamten Kreativszene der Stadt auf Unwillen. Namhafte Künstler haben sich in den letzten Tagen zum Thema geäußert und offene Briefe an die Oberbürgermeisterin und die CDU-Stadtratfraktion geschickt. 

»Musik in Dresden« hat den Intendanten der Staatsoperette Dresden, Wolfgang Schaller, und den designierten Chefdirigenten seines Hauses, Andreas Schüller, um einen Beitrag gebeten. Aber auch der Dirigent Michael Sanderling und Philharmonie-Intendant Anselm Rose kommen zu Wort: sie wissen, dass "eine Debatte, wie sie jetzt geführt wird, nicht nur einem nützt und einen benachteiligt, sondern letztlich dem Kulturstandort Dresden in Gänze schadet."

Wolfgang Schaller, Intendant der Staatsoperette Dresden (Foto: Studio Schlief)

"Dieses Kraftwerk könnte unser Stolz werden"

„Wir Dresdner sind alle ein bisschen kulturverrückt!“ – das war der zentrale Ausspruch einer Befragung, die im Jahre 2002, als ich nach Dresden zurückkehrte, veröffentlicht wurde. Beweise für die Richtigkeit gibt es viele, aus Sicht der Staatsoperette sind sicherlich die 107.000 Unterschriften gegen die im selben Jahr beabsichtigte Schließung des Theaters der wichtigste. Im selben Jahr wurde der Förderverein der Staatsoperette gegründet, und gemeinsam wird seitdem unter dem Slogan „Operette im Zentrum“ für eine neue Spielstätte gekämpft. Viele Jahre später war auch in unserem Schwesterinstitut, dem Theater Junge Generation, eine Situation herangereift, die nach einer baulichen Lösung verlangte. Es entstand die Idee, die beiden Nachkriegsprovisorien durch einen gemeinsamen Neubau der Spielstätten im ehemaligen Kraftwerk Mitte abzulösen – das Kulturkraftwerk. War es bis dahin nur um Lösungen für die beiden Theater gegangen, gesellten sich von nun an immer mehr Interessenten für eine künftige Nutzung dazu. Der Charme der Idee, in der denkmalgeschützten Industriearchitektur ein großes städtisches Kulturzentrum zu etablieren, fand breiteste Unterstützung und führte zu zwei mit sehr großer Mehrheit gefassten Stadtratsbeschlüssen und zur Ausschreibung des Projekts. Eine Verschiebung wäre eine Verschiebung ins Nichts und würde eine Vielzahl ungelöster Probleme hinterlassen und die Gefahr, die beiden Volkstheater der Landeshauptstadt Dresden in eine tiefe Krise zu stürzen.

Für die Staatsoperette Dresden kann es keinen besseren Platz geben, als neben dem Theater Junge Generation und in der Nachbarschaft der Hochschule für Musik von einer Vielzahl von kulturellen Aktivitäten umringt zu sein. Die Landeshauptstadt Dresden hat die Chance, mit dem Freistaat Sachsen gleichzuziehen, der seit seiner Wiedergründung besonders in Dresden, speziell in Oper und Schauspiel, aber auch für Musikhochschule und Kunstsammlungen, Kulturförderung auf einem Niveau betreibt, das wesentlich zum Ruf Dresdens als Kulturstadt beiträgt. Die „kulturverrückten“ Dresdner werden es zu schätzen wissen, und die kulturfreundlichen Touristen werden im Zentrum der Stadt ein neues kulturelles Zentrum entdecken können. Der Wertzuwachs, der der Kulturstadt Dresden auf diese Weise entsteht, liegt auf der Hand: das Stadtzentrum endet in westlicher Richtung nicht mehr hinterm Schauspielhaus, sondern die Kulturinsel bindet die Friedrichstadt in das Zentrum mit ein. Dieses Kraftwerk könnte unser aller Stolz werden!

Wolfgang Schaller, Intendant der Staatsoperette Dresden

 

Philharmonie-Chefdirigent Michael Sanderling (Foto: Marco Borggreve)

Die Kultur, so heißt es, ist das geistige Haus, in dem wir gemeinsam leben. Das geistige Haus der Stadt Dresden besteht aus den zahlreichen künstlerischen Angeboten, die den Ruf dieser Stadt als Kulturhochburg nachhaltig geprägt haben. Wenn sich die Kulturschaffenden nun vor die Situation gestellt sehen, das eine Kulturgut gegen das andere aufgewogen zu sehen, kann ihnen dazu schlechterdings eine Haltung abverlangt werden. Selbstverständlich sind wir als Intendant und Chefdirigent der Dresdner Philharmonie dem künstlerischen und materiellen Wohlergehen unseres Orchesters verpflichtet. Aber wir wissen nur zu gut, dass eine Debatte, wie sie jetzt geführt wird, nicht nur einem nützt und einen benachteiligt, sondern letztlich dem Kulturstandort Dresden in Gänze schadet.

Als wir unsere jeweiligen Aufgaben an der Dresdner Philharmonie übernommen haben, war uns bewusst, dass zum Erhalt der national und international geschätzten Qualität der Philharmonie ein neuer Konzertsaal unabdingbar war. Die baulichen und akustischen Unzulänglichkeiten des Kulturpalastes würden absehbar zur Schließung des Hauses führen. Der häufig artikulierte politische Wille ließ in der Umsetzung auf sich warten und veranlasste bereits einen Chefdirigenten, das Orchester zu verlassen. In der Amtszeit des Intendanten entschied sich die Kommunalpolitik, trotz materieller Schwierigkeiten zu dem ehrgeizigen Kraftakt, nunmehr Taten folgen zu lassen und den Konzertsaal im Kulturpalast zu bauen. Die Arbeit des neuen Chefdirigenten wird bestimmt durch die künstlerischen und organisatorischen Widrigkeiten in der Interimszeit, aber auch durch die klare Perspektive auf den neuen Saal.
Wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um das Schaffen und die Qualität der Dresdner Philharmonie zu befördern – auch immer mit der Aussicht, eines Tages in einem Saal spielen und auftreten zu können, der unseren Ansprüchen an Leistung und Kreativität gerecht wird.

Philharmonie-Intendant Anselm Rose (Foto: Archiv)

Nun müssen wir und unsere Musiker neuerlich erleben, wie Diskussionen über die Wertigkeit der einzelnen kulturellen Einrichtungen in dieser Stadt geführt werden und die Ausgaben hierfür anderen städtischen Aufgaben, etwa im Bereich der Bildung, gegenüber gestellt werden. Es gibt Musiker in der Dresdner Philharmonie, die nahezu ihr gesamtes Berufsleben im Saal des Kulturpalastes gespielt haben, über Jahrzehnte auf eine neue Spielstätte gehofft haben und nichts sehnlicher erwarten als diesen Traum endlich realisieren zu können.

Die Stadt und Ihre Verwaltungsspitze bekennt sich zu Ihrer Verantwortung gegenüber den Kulturinstitutionen und der Notwendigkeit, überfällige Investitionen zu befördern.

Denn nur, wenn das gewährleistet ist, kann das geistige Haus der Kultur in Dresden weiter stehen.

Prof. Michael Sanderling, Chefdirigent der Dresdner Philharmonie
Anselm Rose, Intendant

"Schnellstmögliche Umsetzung!"

Der designierte Chefdirigent der Staatsoperette Dresden, Andreas Schüller (Foto: PR)

 Die neuerlich aufgekommenen Überlegungen das Projekt "Kulturkraftwerk" in die Zukunft zu verschieben, müssen mich als zukünftigen Chefdirigenten der Dresdner Staatsoperette naturgemäß sehr verwundern! Als baldigem Neu-Dresdner bleibt mir trotz hinreichender Kenntnis der in den letzten Jahren geführten Diskussion gleichwohl nur die Sicht eines Außenstehenden.

Aus meiner Heimatstadt Berlin ist mir noch jene spannende und (kulturell) bewegte Zeit Anfang der Neunziger Jahre in Erinnerung, in der wir Studenten jenes damals noch unsanierte Prenzlauer Berg "in Besitz" nahmen, in dessen Zentrum eine alte zum Abriss stehende Brauerei bald Heimstatt für zahlreiche Ateliers, Clubs, Probenräume, Kneipen und Konzertsäle werden sollte.

Die alten Backstein-Industriehallen wurden schon bald in "Kulturbrauerei" umbenannt, von zahlreichen Theatergruppen bespielt und weiter ausgebaut und schließlich saniert. Wer sich dies mitten in einem begehrten Wohnviertel liegende Areal heute ansieht, findet Kinos und Restaurants, Ateliers und Architektenbüros, große Veranstaltungsräume, Theatersäle und kleine Clubs.

Nicht nur der Namensähnlichkeit wegen, sondern auch aufgrund der herrlichen denkmalgeschützten Backstein-Architektur fühlte ich mich schon bei meinem ersten Besuch des Drewag Geländes an Berlin erinnert! Man kann sich leicht ausmalen, wie hier in Dresden dereinst in unmittelbarer Nähe zur Musikhochschule ein wiederbelebtes von Restaurants und Ateliers durchzogenes Areal, in dessen Zentrum zwei traditionsreiche Theater endlich ihre langersehnten Spielstätten erhalten, zum neuen Mittelpunkt eines ganzen Wohnviertels werden wird. Selbst mir als Zugereistem erscheint diese städtebauliche Maßnahme als längst überfällig!

Und so befürworte ich (ganz unabhängig von der künstlerischen Notwendigkeit einer neuen Spielstätte für die Staatsoperette, die zur programmatischen Erweiterung des Hauses zwingend notwendig ist) vor allem auch aus städteplanerischer Sicht die schnellstmögliche Umsetzung der gefassten Pläne!

Auch ist der Gewinn für eine um städtereisende Touristen bemühte Stadt wie Dresden mehr als offensichtlich. Schon durch die zentrale Lage der beiden Theaterneubauten wird sich das ohnehin vielfältige Kulturangebot Dresdens um zwei außergewöhnliche Spielstätten erweitern!

Andreas Schüller,
designierter Chefdirigent der Staatsoperette Dresden