Hat man so etwas schon mal gesehen? Man konnte seinen eigenen Augen nicht mehr trauen! Ein Konzert mit klassischer Musik am Nikolausabend und es waren (fast) nur junge Leute zu sehen. Wie passt das zusammen?
von David Buschmann
Der Europäischen Kammerphilharmonie Dresden (EKDD) ist etwas gelungen, was sich inzwischen viele auf ihre Fahnen schreiben – ein neues, junges Publikum zu begeistern. Bei seinem zweiten öffentlichen Auftritt begab sich das junge Orchester am 06. Dezember in den Konzertsaal des Kulturrathauses Dresden. Das Programm teilte sich in eine Barockhälfte mit Vivaldi, J. S. Bach und Corelli und eine romantische Hälfte, mit Tschaikowsky.
Die Zuhörer setzten sich und tauschten sich über allerlei Dinge aus. Plötzlich wurde es ganz still. Nicht die Musiker, sondern die adrett gekleidete Assistentin des Musikdirektors trat zur Begrüßung nach vorn. In kurzen und prägnanten Worten führte Sie das Publikum in das Programm ein, was auch das spartanische Programmheft erklärte. Diese knappe Ansprache, statt der üblichen 45 Minuten vor dem Konzert, direkt vor dem musikalischen Beginn auszurichten, kam beim Publikum sehr gut an. Keiner musste für ein Programmheft zahlen und die Einführung fand nicht nur für das Publikum in grauen Anzügen mit sehr viel Zeit statt.
Doch nun Musik! Wie sie losschoss, mit welcher Lebenslust und Spielfreude die Musiker Vivaldis Streichersinfonie RV 146 wiedergaben – eine Augen- und Ohrenfreude. Pedro Andrade am Dirigentenpult forderte mit großen Gesten eben diese von seinem Orchester. Aufbrausend und energiegeladen führt er das Orchester entschieden an, sodass diese gar nicht anders konnten, als diese Energie aufzunehmen und in Musik umzusetzen. Diese Lust an den Klängen fühlte der Hörer.
Aus den Reihen des Orchesters traten die zwei Solisten für Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen BWV 1043 hervor. Die Entfaltung einer großflächigen Dramatik glückte Andrade im ersten Satz durch geschickte Spannungskurven. Die beiden Solisten Katarina Aleksić, extra aus Belgrad angereist, und Anne Kristin Büst, aus den Reihen der EKDD, wirkten zunächst so frisch, wie das Orchester, doch verloren sie sich in ihren Soloparts und im Klang immer mehr, je länger das Konzert dauerte. Aleksić und Büst zeigte ein tolles Schattierungsvermögen und gaben sich alle Mühe, doch kamen sie dabei weder untereinander, noch mit dem Orchester auf einen Nenner. Die turbulenten, flotten Teile brachten die Musiker wieder zusammen. Schade das dies nicht auch in den ruhigen Stücken funktionierte.
An einigen Stellen hatte Andrade sichtlich Mühe, das Orchester zusammenzuhalten. Die vielen Musikstudenten, ergänzt durch einige „Profimusiker“, wirkten teilweise noch sehr auf ihr Notenblatt und zu wenig auf die Solistinnen und den Dirigenten konzentriert. Scheinbar übertrug sich diese Unsicherheit kurzzeitig auch auf den Dirigenten, der weniger sicher wirkte, doch dies durch seine lebendig, charismatische Art zu dirigieren wettzumachen versuchte.
Als vorweihnachtliches Adventsstück erklang vor der Pause Corellis Concerto grosso op. 6, Nr. 8. Mit viel Mut zum Raumgeben für Generalpausen und zum Aushalten langer Klänge interpretierte Andrade diesen Teil sehr stilvoll und elegant. Eben diesen Mut bewies er wieder im Schlussstück: Tschaikowskys Serenade für Streichorchester op. 48. Im Concerto grosso fand sich neben den Soloviolinen noch ein Solocello ein. Norbert Schröder meisterte seine Soli mit Bravour. Während die Violinistinnen immer wieder Probleme in der Intonation hatten, musizierte Schröder mit solidem, sicheren Ton. Tschaikowskys Serenade wird von dem berühmten Thema umrahmt, das vom Orchester mit vollem Klang eindrücklich dargeboten wurde. Mit weit ausgebreiteten Armen entlud sich Andrade in dieser Musik. Doch es fehlte den Musikern an Kraft für den zart flirrenden Ausklang, und die hohen Töne konnten nicht ihre elysische Wirkung entfalten.
Trotzdem: Jedem Zuhörer wurde sofort klar, dass diese Musiker nicht nur ihren Dienst ableisteten, sondern mit Leib und Seele dabei waren. Das Engagement der ehrenamtlichen Musiker ist nicht hoch genug einzuschätzen. Die gemütliche Atmosphäre aus dem ersten Konzert im Club konnte indes nur zu einem kleinen Teil in den Konzertsaal übertragen werden. Ein klassisches Konzert im herkömmlichen Stil muss sich an anderen Maßstäben messen lassen. Die technischen Ungenauigkeiten und die Synchronisationsprobleme störten im Club L'Hibou keinen, doch im Konzert fallen sie auf. Den angestrebten Rang eines Spitzenorchesters hat die Europäische Kammerphilharmonie Dresden noch nicht erreicht. Doch haben die Musiker in ihrer kurzen Zeit als Kammerphilharmonie schon viel geschafft – der Weg vom Werkstattorchester zu einem „internationalen, unverwechselbaren Klang“ ist ein Stück kürzer geworden.