Ein im Tagungsprogramm angekündigter Vortrag hatte allein durch den griffigen Titel einige Neugierige angelockt. "Parsifal im Tal der Ahnungslosen. Zur Bildung des Publikums" – was der TU-Professor Walter Schmitz am Samstag im Blockhaus über die Programmpolitik der Semperoper und das Dresdner Publikum trocken und pointiert zu sagen wusste, war für Tellkamps "Türmer" wenig schmeichelhaft und sorgte deswegen für Murren im Saal. Um Richard Wagner ging es auf dem Symposium mit dem Titel "Wager & Folgen", aber immer wieder auch um Dresdens Selbstverständnis als Stadt der Hochkultur, insbesondere um die Semperoper als Hort des hehren Dresdner Streicherklangs, als Experimentierküche für Zauberlehrlinge und Alte Meister. Neben den Vorträgen waren deshalb Proben- und Konzertbesuche bei Maestro Christian Thielemann und Klavierlegende Maurizio Pollini vorgesehen. Auf den Notenpulten drüben in der Semperoper stand von Freitagabend bis Sonntagmorgen zur Einstimmung Ferruccio Busonis "Lustspiel-Ouvertüre" op. 38, dann folgten zwei Großwerke, die von der Unitel für die geplante Brahms-Box des Orchesters mitgeschnitten wurden: die Zweite Symphonie und, nach der Pause, das Zweite Klavierkonzert.
Besonders die, die die Staatskapelle nicht so oft hören, dürften vom ersten Ton an gefangengenommen worden sein von dem hypnotischen, dunkel-samtigen Streicherklang, den die Musiker effektvoll und ganz selbstverständlich zu produzieren wissen. Zwar wackelten die Tempi zu Beginn des Konzerts; die Abstimmung zwischen Streichern und Bläsern in der munteren Ouvertüre ging Thielemann am Freitag womöglich zu lax an. Aber die detail- und ideenreich ausmusizierte "Zweite" hatte zweifelsfrei Referenzqualität. Der Dirigent antwortete in gewisser Weise mit seiner sorgfältigen Dramaturgie der Stimmen und Themen auf den Frankfurter Musikkritiker Gerhard Koch, der jenseits des Flusses bei einer abendlichen Diskussionsrunde argumentierte, der Klang werde beweihräuchernd "für die Sache selbst genommen", während der kulturelle Leitstern der Stadt in Ängstlichkeit und Ehrfurcht vor seiner musischen Tradition erstarrte. Nein, hier war doch der klingende Beweis: der "Dresdner Klang" mag leitmotivisch über dem Programm der Kapelle schweben. Aber die immer neue Befragung des Kernrepertoires und die Kontrastierung mit seltener gehörten Werken macht das Orchesterleben lebendig und reich.
Hingegen mag man nicht zuletzt in der erneuten Verpflichtung Pollinis eine leise Bestätigung der von Schmitz und Koch nuanciert formulierten Beobachtungen sehen: der große Name des Altmeisters erdrückt leider jede Auseinandersetzung mit interpretatorischen Aspekten. Für den Pianisten, der in vergangenen Konzerten Brahms lieber durch Mozart ersetzte und einige Konzerte gar ganz absagte, stand die Hürde der technischen Bewältigung vor jeder musikalischen Ausdeutung. Hier wird die Dresdner Brahms-Box tatsächlich eher ein Schlusspunkt, eine Verneigung vor einer großen Vergangenheit sein können.
Eine Textfassung des Artikels ist am 28. Januar in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.