„Was soll werden, wenn schwere, baritonale Heldentenöre à la Günther Treptow einmal die Bühne verlassen… Was soll mit Bayreuth, was überhaupt mit den Werken Richard Wagners geschehen, wenn es die geeigneten Vertreter nicht mehr geben wird?“ Diesen Ausschnitt aus einer Kritik der Bayreuther Festspiele von 1952 stellt Jürgen Kesting in seinem Buch „Die Großen Sänger“ dem Kapitel über die Wagner-Tenöre voran. Ende Januar, in der FAZ, kam Kesting angesichts der aktuellen Situation – er sprach von einer tiefen Krise des Wagner-Gesanges – zu dem Schluss, Wagner wäre bei der Konzeption seiner Partien für die Tenöre von den stimmlichen Möglichkeiten eines Joseph Tichatschek ausgegangen und hätte dabei auf die Darstellungskraft eines Ludwig Schnorr von Carolsfeld gehofft. Immerhin: beide waren Dresdner Größen! Und in seinem Kapitel zu den Tenören im besagten Buch führt er einige Sänger als Beispiele auf, die diesem Ideal nach seiner Meinung entsprachen. Dabei sind Max Lorenz, den die Dresdner in „Der Fliegende Holländer“ und „Die Walküre“ gastweise in den 50ger Jahren erleben konnten, als Premierenbesetzung auch in „Tristan und Isolde“, am 12. Mai 1957, mit Lovro von Matacic am Pult, in der Regie von Alfred Eichhorn.
Ein anderer Tenor – und er gehört unbedingt in unser Dresdner Alphabet – war Bernd Aldenhoff. Der von Walter Felsenestein 1932 in Köln entdeckte Sänger wurde nur 51 Jahre alt. Seit 1942 sang er regelmäßig in der Semperoper. Wieland Wagner hörte ihn in Leipzig; er wurde der erste Siegfried nach dem Krieg, später zerstritt er sich mit dem Erneuerer von Bayreuth. In den Kritiken von damals wird immer wieder die Jugendlichkeit des Klanges hervorgehoben, auch eine gewisse Leichtigkeit. Vielleicht hat er solche Tugenden von seinen frühen Erfahrungen im iatlienischen Fach und in der deutschen Spieloper in den Wagner-Gesang hinüber retten können. Aldenhoffs Gesang ist auf etlichen Aufnahmen zu hören, Dresdner Erfolge dokumentiert mehrfach die höchst verdienstvolle Edition Semperoper bei Günter Hessler. Auf der Bühne des Großen Hauses sang der Tenor die Titelpartie in „Tannhäuser“, am 24. April 1949, es war die erste Neuproduktion einer Wagneroper nach dem Krieg. Ein Jahr später war er der Stolzing in „Die Meistersinger von Nürnberg“, als Erik war er in „Der Fliegende Holländer“ hier ebenfalls zu erleben. Seinen letzten Auftritt als Siegmund hatte er 1959 in seiner Geburtsstadt Duisburg im Stadttheater.
Bis zu seinem frühen Tod hatte er die Welt bereist, seine Karriere führte u.a. nach Wien, Paris und New York. einmal noch, 1958, sang er auf dem Grünen Hügel von Bayreuth, als Einspringer für den erkrankten Wolfgang Windgassen. Dieser wiederum gastierte in Dresden in der illustren Reihe von Gästen wie etwa Sandor Konya oder Martin Ritzmann als Lohengrin in der Inszenierung von 1957.
Nein, als Wagnersängerin hat sie keine Karriere gemacht, aber bis heute sorgt sie dafür, in Dresden in entsprechender Chefposition, und als höchst geschätze Kraft jedes Jahr in Bayreuth, dass den berühmten und den weniger berühmten Sängern bei den großen Partien der Musikdramen Wagners keine dramtischen Fehler unterlaufen. Die Sopranistin Gabriele Auenmüller wurde nach Beendigung ihrer Sängerlaufbahn „Die gute Fee im Kasten“, also eine Souffleuse. Dabei geht es ja nicht nur darum, den Text draufzuhaben und notfalls den Erinnerungen der Sänger nachzuhelfen, mitunter geht es auch darum, mit Tönen und Einsätzen parat zu sein. Jeder Sänger, jede Sängerin weiß zu schätzen, was sie diesen Kollegen zu verdanken haben. Wer mehr über diese unsichtbaren Künstler und Künstlerinnen erfahren möchte – bis hin zu ausgesprochen kuriosen Erfahrungen oder ungewöhnlichen körperlichen Einsätzen, etwa wenn es den berühmten Souffleukasten nicht gibt oder das Regietheater sonderbare Blüten treibt – dem sei ein lesenswertes Buch empfohlen: Cornelia Boese hat die Licht- und Schattenseiten dieses Theaterberufes beschrieben, sie hat Interwiews dazu gemacht und natürlich von Sängerinnen und Sängern erfahren, was alles passieren könnte, wenn der Text weg ist, aber nicht passiert, weil die Souffluere da sind. Das Buch heißt natürlich „Die gute Fee im Kasten“ und ist in der Reihe „Sprache & Kultur“ im Shaker Verlag erschienen.