Es war einmal, nein, kein König, nein, keine Königin, es war einmal ein Stück Holz, kein Edelholz, sondern ganz gewöhnliches Holz. Als Meister Kirsche daraus ein Tischbein fertigen will, spricht das Holz, es hat ein zartes Stimmchen und spürt Schmerz wie ein Mensch. Kirsche schenkt das sonderbare Holz seinem armen Freund Geppetto. Der will daraus einen schönen Hampelmann schnitzen, mit dem will er durch die Welt ziehen und sich ein Stück Brot und ein Gläschen Wein verdienen. Geppetto schnitzt den Hampelmann, gibt ihm den Namen Pinocchio und so beginnen „Pinocchios Abenteuer als wundersame Reise, auf der es Prüfungen zu bestehen gilt. Eine Reise, auf der aus dem hölzernen Hampelmann ein Kind wird, ein Junge mit einem guten Herzen. Und Geppetto wird zu einem glücklichen alten Mann, dessen Einsamkeit ein Ende hat.
„Pinocchios Abenteuer“ von Carlo Collodi, 1883 erstmals in Italien erschienen, ist ein Welterfolg, beliebt bei Kindern und Erwachsenen.
Der 1959 geborene italienische Komponist Pierangelo Valtinioni hat aus dem Stoff eine Oper gemacht; die wurde 2001 in Italien uraufgeführt, kam 2006 erstmals in deutscher Sprache in Berlin, an der Komischen Oper heraus – und jetzt war Premiere im Leipziger Opernhaus.
Manchmal ist das richtig große Oper, Ensembles, Soloszenen, vom Klavier begleitete Rezitative, immer wieder klingt es wie im klassischen Musical. Dann gibt es Passagen, die wirken wie untermalende Filmmusik, alles sehr melodisch. Einen Ohrwurm, der sich sofort einprägt, gibt es allerdings nicht, dafür einen fetzigen Can Can, den die zu Eseln verwandelten Kinder tanzen, wenn sie den trügerischen Verlockungen des Schlaraffenlandes erlegen sind.
Das Buch von Carlo Collodi hat in meiner Ausgabe des Aufbau-Verlages von 1954 mit den herrlichen Illustrationen von Werner Klemke immerhin fast 250 Seiten. Pinocchios Abenteuer werden in 36 Kapiteln erzählt. In der Oper geht es rascher voran; sie dauert nicht mal zwei Stunden, gut so, es geht! Mehr noch: es geht rasch voran. Die Verknappung führt nachvollziehbar in ausgewählten Stationen durch die Abenteuerreise der Holzpuppe. Der Hampelmann bückst aus. Er schlägt die Warnungen der blauen Fee und der Grillen in den Wind verkauft die Schulbücher für eine Eintrittskarte zum Marionettentheater. Immerhin! Er erliegt den Betrügern Kater und Fuchs, erfriert fast, springt dem Tod noch mal von der Schippe, der Sarg ist schon geöffnet, die Leichenträger stehen bereit. Er lügt, dass die Nase wächst, wird zum Esel und findet zum guten Schluss im Riesenbauch des Haifischs seinen Vater Geppetto, der auf der Suche nach seinem Kind keine Gefahren scheute. Pinocchio wird ein richtiger Junge, Geppetto ein richtiger Vater. Mut und Herzensgüte werden belohnt.
Gundula Nowack hat das Stück inszeniert, Karen Fritz hat das Bühnenbild entworfen, Sven Bindeseil die vielen, vielen Kostüme, Marionetten, Tiere der unterschiedlichsten Gattungen, Totengräber, bis hin zu einem mächtigen, bedrohlichen Haifisch mit blutigen Zähnen. Dass die Leipziger Aufführung so gut ankommt zur Premiere, verdankt sich nicht unbedingt der Regieleistung. Die ist ein wenig schlicht in ihrem Anspruch und beschränkt sich auf die sichere Organisation der Auf- und Abtritte. Nein, der Erfolg geht zunächst auf das Konto der Ausstattung. Und hier sind es die Kostüme, da waltet farbenfrohe Fantasie, man kann gar nicht alle Details auf einmal wahrnehmen. Und es gibt großartige Bilder: zu Beginn etwa ein poetisches Schattenspiel, wenn Geppetto das wundersame Holz bearbeitet. Wenn Pinocchio mit einer riesigen Taube um die Welt fliegt, hört man erstaunte Ahs und Ohs im Publikum. Und wenn er auf dem Meeresgrund fast verloren scheint und doch den Mut hat, in das riesige Maul des Haifisches zu steigen und dort in bester mythologischer Tradition den Vater findet und gerettet wird. Und natürlich spielt die Frische und Authentizität der vielen jungen Sängerdarsteller des Kinderchores der Leipziger Oper eine entscheidende Rolle, wenn nicht gar die Hauptrolle.
Diesem Chor in der Einstudierung von Sophie Bauer gilt ein großes Kompliment, zumal ja auch viele Rollen von Sängerinnen und Sängern des Chores gesungen und gespielt werden. Da hört man schöne unverstellte Stimmen, da versteht man jedes Wort, es werden Mikroports verwendet, bei den „richtigen“ Sängern vom Opernensemble hilft auch das nicht immer, ausgenommen die wunderbare Kathrin Göring als Fee. Olena Tokar als Pinocchio gerät mitunter doch arg in die Nähe üblicher Opernklischees, wenn sie den „Jungen“ spielt, bekommt aber immer wieder die Kurve und wird am Ende gefeiert. Schöne Geste übrigens in Leipzig, wenn zum Schlussapplaus Dirigent Matthias Foremny nicht nur auf das Orchester verweist, sondern die Mitglieder des Gewandhausorchesters auf die Bühne kommen. So wird auch optisch klar: Oper für Kinder, aber richtig groß, keine Sparvariante.
»Pinocchio« – nächste Termine: 22. März, 6., 28. April; 1., 7. Juni.