Das Programmheft zur zweiten »Langen Nacht der Dresdner Theater« versprach auch dieses Jahr wieder viel Musik. Auf verschiedenen Bühnen konnte der interessierte Zuhörer zu jeder vollen Stunde je eine Kostprobe aus dem laufenden Programm erleben, und die Sonderlinie der DVB in den Pauseminuten nutzen, um von einem Veranstaltungsort zum nächsten zu kommen.
Den Abend eröffnet haben für mich die „Zwei Genies am Rande des Wahnsinns“ Heinz Behrens und Heinz Rennhack in der COMÖDIE Dresden. Der eine ist davon überzeugt, daß seine Kunst für eine Hochzeit gebucht worden sei, der andere jedoch denkt, dass es sich beim Auftrag um eine Beerdigung handelt. Mit einer erfrischend witzigen Ironie sprechen und telefonieren beide aneinander vorbei, schimpfen über den zu spät kommenden Kollegen – ohne zu bemerken, dass es hier an der üblichen und für Künstlerköpfe typischen Kommunikationsschwäche scheitert.
Auch sinnierte der urkomische Seniorenschauspieler mit zur Pistole in der Hand passendem Gesichtsausdruck über den Sinn und Unsinn von Aufnahmeprüfungen an Hochschulen, denen man sich vorm Studium unterziehen muss – ganz in der Art: „Solche hervorragenden Künstler wie ich schaffen es ja gar nicht an diese doofen Institutionen.“ Sein Kollege, der verspätet auf der Probebühne eintraf, verkörperte vom Charakter her nicht nur Gegensatz und Gegenpol, sondern mit skurilem Genie und Wahnsinn einen etwas schrägen Wolfgang von Beethoven. Sein Mittel gegen Taubheit und Tick sind Balletübungen und harter Alkohol. Gegen das große Ego scheint aber nichts zu helfen. Ein Kenner der Künstlerszene auch hinter den Kulissen wird in diesem amüsanten Chaos-Duo viel lernen und wiedererkennen. Die beiden Schauspieler sind zwar gemeinsam 156 Jahre alt, bringen aber mit geballter Energie auch aktuelle Streitthemen in Kunst und Theater auf den Punkt. „Zwei Genies am Rande des Wahnsinns“ kann man in Gesamtlänge zum Beispiel bis zum 24. Mai täglich 19.30 Uhr erleben.
Das nächste Highlight brachte uns immer noch erstaunlich aktuelle Beiträge aus dem lyrischen Repertoire Erich Kästners und anderen, sowie maßgeschneiderte Kompositionen von Michael Fuchs auf dem Theaterkahn zu Ohren. Singend und sprechend brillierte Friedrich-Wilhelm Junge und ließ das Publikum für eine halbe Stunde von gesellschaftsverändernden Maulwürfern, karrieregeilen Arschkriechern und einem vorlauten Hasentier träumen. Michael Fuchs, der den ausdrucksstarken Schauspieler normalerweise mit seinem Trio begleitet, leistete zur »Langen Nacht« allein und am Flügel ganze Arbeit. „Es gibt nichts gutes, außer: man tut es.“ Kann man wieder am 10. Juli (20 Uhr) in voller Länge erleben.
Im Theater wechselbad erwartete uns ein Chansonprogramm mit Musik von Edith Piaf. Die Schauspielerin Kati Grasse überzeugte mit Charm und Können als „Spatz von Paris“. Würde da nicht ein klitzekleiner deutscher Akzent im Französisch schweben, könnte man sie glattweg als perfekte Kopie des Weltstars ankündigen. Bis ins Detail arbeitet sie mit Intonation, chromatischer Ausgestaltung, einer sehr tragfähigen Stimme und vor allem der Edith Piaf nachgesagten, eigenwillig-charmanten Ausstrahlung. Gemeinsam mit Robert Jentzsch an Klavier und Akkordeon steht Kati Grasse wieder am 24. Mai als Edith Piaf auf der Bühne des wechselbads.
Eine besonders schön ausgestaltete abendliche Atmosphäre erlebten wir um die eher schwer pünktlich zu erreichende Bühne auf dem Campus der TU Dresden. Aufgrund des zeitlich etwas eng gestrickten Busplanes sind wir mit den regulären Verbindungen der DVB leicht verspätet auf einem fast heimelig geschmückten Konzertplatz angekommen. Der Anblick der Fackeln und Kerzen, der Duft nach spanischer Antipasti und das Lachen schwatzender Studenten machten den Wegstress gleich wieder wett. Das Theaterspektakel, welches die „die bühne“ vorbereitete, erlebten wir leider nur von der Treppe aus. Die pünktlich erschienen Gäste erfreuten sich jedoch im proppevollen Studententheater einer lebendigen, vor Adrenalin nur so sprühenden Musical-Aufführung, bei der sich zwei inhaftierte Diven nicht nur um Engagements, sondern auch um ihre Freisprechung aus dem Knast bezankten. Für die tollen Kostüme, einem für ein Studententheater hervorragendes Make-Up, sowie chorisch und solistisch aufgeführte Musical-Songs begabter Studenten gab es auch tobenden Applaus.
Mit einem leckeren Brot in der Hand gings dann in fröhlicher Erwartung zur Bushaltestelle der Theaternachtlinie. Ein Spektakel in »Breschke und Schuch« stand als nächstes auf dem Plan, doch aus dem erwünschten „Nachtsitzen“ wurde leider nichts. Unser Brot schmeckte uns ganze 30 Minuten ganz hervorragend, bis die mit uns Wartenden dann zur Haltestelle der 11 trabten, weil weit und breit kein Theaternachtbus zu sehen war. Ein Programmpunkt fiel also leider flach.
Den gelungenen Abschluss des Abends allerdings hatten wir mit »Hit me Baby one more time« richtig kalkuliert. Bereits 2012 war das unser Höhepunkt der Theaternacht. Mit frischem Material rockten und zockten Stefko Hanushevsky und Christopher Brandt auch dieses Jahr ihre Interpretationen der Charthits der „letzten 400 Jahre“. Das Duo scheute dabei weder vor bekannten internationalen Hits noch vor Szene-Songs zurück. Die Stimme des Leadsängers hat sich über das letzte Jahr vom technischen her weiterentwickelt. Vorallem begeisterte der Theaternewcomer aber wieder mit seiner jugendlich-frischen Art, auch schauspielerisch noch einen auf die witzig interpretierten Texte und Lieder draufzusetzen, die einen hohen Anspruch an musikalische Technik unnötig machen. Am 4. Juli sind sie vorerst das letzte Mal in Dresden zu erleben.