Dass Richard Wagner ab1843 im Rahmen seines Dienstes als Hofkapellmeister auch Dienst an der Dresdner Hofkirche hatte, wird von seinen meisten Biografen nur ganz am Rande erwähnt, weil darüber wenig bekannt ist. Jedoch gibt es in der SLUB bisher noch nicht gründlich ausgewertete Quellen, die nachweisen, dass Wagner 1843 auch Messen von Johann Gottlieb Naumann und Joseph Schuster dirigiert hat. Freilich unter erschwerten Bedingungen, da ihm nicht mehr die geübten Sänger des 18. Jahrhunderts zur Verfügung standen. In seinem Reformeifer um die Sächsische Hofkapelle hat er sich auch ausführliche Gedanken über die Reorganisation der Hofkirchenmusik gemacht und zum Beispiel die Wiederaufnahme der Werke von Palestrina gefordert oder als Kuriosum die Mitwirkung von Frauenstimmen im Chor angeregt; allerdings sollten diese den Gottesdienstbesuchern hinter Gittern verborgen bleiben.
Die Stiftung Musica Sacra Saxonia hat dankenswerterweise in zwei Veranstaltungen in der Kathedrale zu Dresden unter dem Titel „Richard Wagner und das Dresdner Amen“ am 16. Mai 2013 an den in der Hofkirche tätigen Wagner erinnert. Nach einer Idee und einem Text von Reiner Zimmermann, der aus den Reformschriften Wagners dessen Ideen zur Kirchenmusik zusammengefasst hat, trug Werner Patzelt, TU-Professor, auf charmante Weise diese Zusammenhänge vor. Besonders Wagners lebenslange Beziehung zum „Dresdner Amen“, jener nur in der Hofkirche und der Kreuzkirche üblichen kurzen Dankesformel von eindrucksvoller musikalischer Gestalt, stand im Mittelpunkt, denn dieses Motiv ist heute in aller Welt als „Gralsmotiv“ aus dem „Parsifal“ bekannt, wird aber in früheren Opern von Wagner ebenso verwendet wie von Spohr, Mendelssohn, Mahler und Bruckner. An einem von der Firma Weber zur Verfügung gestellten Steingräber-Flügel – auch Wagner spielte in Bayreuth ein solches Instrument – gab Mirjana Rajic sowohl musikalische Eindrücke von diesen Motivverarbeitungen als auch weitere Proben Wagnerscher Werke in Klavierbearbeitungen. Der Organist der Kathedrale, Thomas Lennartz, ließ die Silbermann-Orgel mächtig ertönen mit einer „Tannhäuser“-Fantasie von Franz Liszt und dem „Meistersinger“-Vorspiel.
Die Dresdner Kapellknaben unter der Leitung von Domkapellmeister Matthias Liebig boten ein breites Spektrum von geistlichen Werken von Palestrina über Hasse bis zu Wagner und seinen Kapellmeister-Kollegen Carl Gottlieb Reißiger, aus dessen Messe zum 100jährigen Jubiläum der Hofkirche ein Teil des Credos erklang, und bezogen mehrfach das „Dresdner Amen“ ein, so dass dieses kurze Motiv nachdrücklich im Gedächtnis blieb. Wagner und die Musik in der Hofkirche – diese Facette gehört zweifellos auch zum Wagner-Jubiläum 2013.
M. Herz