Das Ringen um geeignete eigene Konzert-, Ausstellungs- und Büroräumlichkeiten gehört beim Jazzclub Tonne von Anbeginn an zu den »Dauerbrennern« und nahm teils sogar identitätsstiftende Dimensionen an. Die Mitglieder der 1977 gegründeten Interessengemeinschaft (IG) Jazz Dresden, der wichtigsten Vorläuferin des Jazzclubs Tonne, bauten in vielen hundert Stunden ehrenamtlicher, kraftraubender Arbeit die bis dahin verfallenen tonnenartigen Kellergewölbe unter dem Kurländer Palais aus, die nach erfolgter Rekonstruktion am 13. März 1981 eingeweiht wurden. Resultat war nicht nur der erste und bald bedeutendste Jazzclub der DDR mit eigenen, charmanten Räumen, sondern auch eine verschworene Mitgliedergemeinschaft, die sich durch die vielen gemeinsamen Baustunden zusammengeschweißt fühlte. Und deren IG im Volksmund sehr schnell nach der Anmutung der Konzerträume genannt wurde – Tonne. Die Frage Mitte der 1990er Jahre, ob man – unmittelbar nach der Wende als Verein »Jazzclub Tonne« konstituiert – 1997 in die extra ausgebauten Gewölbekeller der ehemaligen Waldschlösschen-Brauerei umziehen oder in der ohne Bleiberecht für die Tonne zum Verkauf ausgeschriebenen Kurländer Palais-Ruine bleiben solle, teilte die Mitglieder in zwei unerbittlich getrennte Lager und führte zur größten Krise des Vereins, die noch über zehn Jahre nachwirken sollte. Bis zu diesem Zeitpunkte prägten Diskussion und Kampf um die Räumlichkeit die Identität dieser Dresdner Jazzaktivisten wohl mehr als die Fragen nach den künstlerischen Richtungen des Konzertprogramms. Tatsache war: Die Tonne zog nach ganz knapper Mitgliederentscheidung 1997 ins Waldschlösschen um, im Jahre 2000 ging der Verein pleite.
Auch der noch im November neu gegründete Verein »Jazzclub Neue Tonne« konnte die Kosten im Waldschlösschengelände nicht erwirtschaften. Er kündigte im Sommer 2001 dieses opulente Anwesen und ging auf Wanderschaft. Konzerte des Vereins fanden dann in der »Scheune« und im Schillergarten statt. Währenddessen hielt die Frage der Location den neuen Verein natürlich in Atem – die »Neue Tonne« suchte intensiv geeignete eigene Räume, organisierte teilweise sogar Testkonzerte. Diskutiert, in Augenschein genommen und teils erprobt wurden in der zweiten Jahreshälfte 2001 und Anfang 2002 Kellergewölbe unter dem heutigen »Quartier Frauenkirche« (QF), wiederum die alten Kellerräume unterm Kurländer Palais, Kellergewölbe unter dem Altmarkt 10a (Restaurant Barococo), ein Kellerrestaurant am Sparkassengebäude Altmarkt, aber auch das Narrenhäusl. Teils aus praktisch-räumlichen, teils aus finanziellen Gründen mussten diese Ideen verworfen werden. Schließlich ergab sich die Möglichkeit des Kellers unter dem Kulturrathaus. Nach einem erfolgreichen Testkonzert mit dem Ellery Eskelin Trio am 14. März 2002 übernahm die »Neue Tonne« dann mit einem Konzertwochenende am 19./20. April 2002 ihre Klubkellerräume unter dem Kulturrathaus auf der Königstraße 15. Auch wenn der Verein, der im November 2010 das »Neue« im Namen abgelegt hat, immer mal wieder mit einem halben Auge nach anderen Räumlichkeiten »schielte« (so waren mal unverbindlich Räume im Alten Schlachthof und unter einem italienischen Restaurant auf der Königstraße im Gespräch), konnte sich die »Tonne« seither auf der Königstraße 15 gut einrichten. Dass nun Konzerte immer häufiger die Kapazität des beengten Gewölbekellers sprengen, ist sicher ein gutes Zeichen.
Mit dem zunehmend in den Kellergewölben unterm Dresdner Kulturrathaus etablierten Jazzclub war das Attribut „Neue“ zwar verzichtbar geworden, doch im Jazz strebt bekanntlich alles nach Neuem, nach beständiger Erneuerung. Mangels jazziger Konkurrenz in und um Dresden und dank glücklicher Händchen bei der eigenen Programmgestaltung ist der Zuspruch für die jährlich mehr als einhundert Konzerte beachtlich. Dazu gehört auch die enger gewordene Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber, die ursprünglich mit Vocal Nights – Gastauftritten der Gesangsklasse – und inzwischen mehr und mehr mit respektheischenden Trumpet und Drums Nights aufwartet. Selbstredend sind deren Inhalte weit mehr als „nur“ Studentenkonzerte, zudem präsentieren sich auch namhafte Mitglieder der Lehrkörpers aus dem Hause von Weber beziehungsweise dessen Abteilung Jazz / Rock / Pop.
Das wären schon mal zwei Gründe für größere Räumlichkeiten sowie für eine engere Anbindung ans Areal des Kulturkraftwerks, das nun ganz allmählich doch Kontur anzunehmen scheint. Steffen Wilde, seit Herbst 2009 Geschäftsführer des Dresdner Jazzclubs, bestätigt denn auch erste Gespräche mit dem derzeitigen Vermieter – der Stadt Dresden, für die er auch das Management der Veranstaltungsräume im Kulturrathaus betreibt – und dem Energieanbieter DREWAG als möglichem Zukunftspartner. „Wir hätten mehr Möglichkeiten durch größere Kapazitäten,“ blickt Wilde nach vorn, „und eine Konzentrierung von Kultur im Kraftwerk scheint eine sinnvolle Sache zu sein.“ Er habe bereits im Vorfeld mit der Hochschule gesprochen und sei froh, dass die ihn „als Kooperationspartner Nummer 1“ sehen. „Das macht uns froh und kann durchaus noch ausgeweitet werden.“
Nachdem in einer Mitgliederversammlung des Tonne e.V. mit einem eindeutigen Ja für die Suche neuer Räume plädiert wurde, konnte kürzlich bei einer ausführlichen Besichtigung das einstige Kraftwerksgelände in Augenschein genommen werden. Zwei Räume hätten sich da herauskristallisiert, einer sei schon von seiner Lage her bestens geeignet, den Namen Tonne weiterzuführen. „Wir müssen nun sehen, ob und wie das finanziell durchführbar ist,“ resümiert Steffen Wilde den ersten Rundgang vor Ort. Denkbar seien beispielsweise auch Eigenleistungen bei der Innengestaltung, um Kosten zu senken. Möglicherweise können schon 2014 die ersten Jazztöne im Kulturkraftwerk erklingen und eventuell auch wieder die im Kulturrathaus einst üblichen Ausstellungen aufleben. „Wir sind sehr gespannt, wie sich diese Gespräche und künftig natürlich auch das ganze Areal entwickeln werden,“ so Steffen Wilde.
Mathias Bäumel und Aldo Lindhorst