Eine Sängerin, ein Sänger, deren Name mit „Q“ beginnt, im Wagnerfach dazu? Eigentlich Fehlanzeige. Nichts zu finden in den einschlägigen Büchern über die großen Stimmen oder die bedeutenden Sänger.
Aber zu meinen Erinnerungen gehören Opernabende in Weimar und in Dresden, bei denen die Mezzosopranistin Annemarie Queck mitwirkte. Natürlich rangiert da an erste Stelle ihr Octavian in Harry Kupfers Weimarer Rosenkavalier-Inszenierung. Später hat sie gemeinsam mit Ingeborg Zobel als Marschallin in Dresden, im Großen Haus, gastiert. Aber sie war auch, nicht dass man sie nun zu den überregional bedeutenden Wagnersängerinnen zählen müsste, eine beachtliche Venus in Kupfers erster Tannhäuser-Inszenierung, 1966, am Deutschen Nationaltheater in Weimar. Ein paar Jahre später habe ich Annemarie Queck dann ebenfalls in Weimar als Magdalena in »Die Meistersinger von Nürnberg« erlebt. Den Sachs sang Wolfgang Ruhl, die Eva war Marta Röth, womit ich schon beim „R“ bin.
Ruhl habe ich mehrfach erlebt, diesen kräftigen und spielbegabten Bassbariton, der von Magdeburg, wo er schon den Pogner und die Partie des König Heinrich in »Lohengrin« gesungen hatte, nach Weimar gekommen war und dort auch blieb und dann an der Musikhochschule unterrichtete. Nach dem Sachs erinnere ich mich gut an eine Lohengrin-Aufführung in Weimar, mit Martha Röth als Elsa und Ruhl als König Heinrich. Ende der 80er Jahre war ich dann noch mal in Weimar zu einer Tannhäuser-Aufführung, da sang Wolfgang Ruhl, und da hörte ich ihn auch letztmalig, den Landgrafen, eigentlich war ich wegen der Sopranistin Rosa Steurich, die ich von Cottbuser Aufführungen kannte und schätzte, die hier – was ja immer wieder gemacht wird – sowohl die Elisabeth als auch die Venus sang. Das geht selten richtig gut, hat die Sängerin den hohen, hellen und lyrisch-dramatischen Ton für die Elisabeth, dann fehlt es oft an der dramatischen Kraft für die Venus. Das war auch damals so in Weimar. Von Martha Röth hatte man gehört, sie soll in Erfurt schon erfolgreich im lyrisch-dramatischen Fach gewesen sein, aber ich lernte diese Sängerin in der Tradition des sogenannten deutschen Faches erst bei den schon genannten Aufführungen in Weimar kennen, das waren beeindruckende Abende, auch wenn es mitunter etwas dramatischer, und individueller hätte sein können.
Anders verhielt es sich bei Elisabeth Rose, deren eigentliche Karriere 1950 in Leipzig begann und sich zehn Jahre später an der Berliner Staatsoper fortsetzte, bis 1978 stand sie hier auf der Bühne, und immer, waren es große Abende und ich glaube nicht dass die Erinnerung alles verklärt. auch wenn sie die Elisabeth im Berliner »Tannhäuser« 1961 war, meinem Urerlebnis mit Richard Wagner und der für mich wirklich umwerfenden Wirkung des Gesanges. »Tannhäuser« damals in Berlin, das war die Einstiegsdroge. Ich erinnere mich an Elisabeth Rose auch als Gräfin in Mozarts »Le nozze di figaro«, als Marschallin in »Der Rosenkavalier«.
Besonders eindrücklich war ein Konzert mit dem Thüringer Knabenchor. Das muss in der ersten Hälfte der 60er Jahre gewesen sein, auch so ein Urerlebnis, ich hörte zum ersten Mal das Requiem von Verdi, der Dirigent war Walter Schönheit, und ich war so stolz, dass ich die Sopranistin, natürlich Elisabeth Rose, schon kannte, von der Staatsoper, in Berlin. Begonnen hatte die Karriere der 1918 in Erfurt geborenen, 2011 in Berlin verstorbenen, Sängerin 1943 am Landestheater Allenstein in Südostpreußen. Damals schon, in der Allensteiner Zeitung vom 2. September 1948, bescheinigte ihr ein Kritiker „sicheres Stilgefühl“, erwähnt den Glanz ihrer Stimme und spricht von der „dramatischen Bewegung“ ihres Gesanges.
Auch wenn die Aufnahmen mitunter miserabel sind, es handelt sich ja um private Mitschnitte von 1961 oder 1962, da versteckte man u.U. das Tonbandgerät hinter dem Rang und legte ein riesiges Mikrophon auf die Brüstung, oder die Aufführung wurde mit dem Stand der damaligen Theatertechnik unreguliert mitgeschnitten, in einer Box mit drei CDs bei Pontho, die dem Tenor Ernst Gruber gewidmet ist, kann man doch einen Eindruck bekommen von der Faszination dieser Sängerin. Einmal ist da ein starker Ausschnitt aus »Tiefland«, der komplette zweite Aufzug eben jener für mich so prägenden Tannhäuser-Aufführung.
Zwei große „Rs“ noch aus der Zeit in Berlin, der Bassbariton Kurt Rehm und der Tenor Martin Ritzmann. Rehm war der beeindruckende Wozzek in der Lindenoper, als Kothner hatte er es bis auf den Grünen Hügel von Bayreuth geschafft, ich habe ihn als Heerrufer in mehreren Lohengrin-Aufführungen erlebt und als Gunther in der wiedereinstudierten »Götterdämmerung« von 1961, in den Jahren nach 1966. Er ist 2011 verstorben, seine Gesangskarriere musste er schon1977 beenden, im zweiten Weltkrieg war er dreimal schwer verwundet worden.
Martin Ritzmann war der Tenor vom Dienst. Im italienischen Fach als Don Carlos oder Kalaf, in Opern von Wagner ein strahlender Lohengrin, ein forscher Stolzing, Walther von der Vogelweide im »Tannhäuser«. Im Alter von nur 65 Jahren ist er 1984 gestorben, die Karriere begann in Altenburg, hier schon mit kleineren Partien in Wagneropern und über einen Zwischenstopp als Operettentenor am Berliner Metropoltheater kam er an die Berliner Staatsoper, als Lohengrin gastierte er auch im Dresdner Großen Haus. Der Bassbariton Konrad Rupf und der Bariton Rudolf Riemer waren höchstverlässliche Ensemblesänger, vornehmlich in Leipzig, aber auch gastweise in Dresden, wo ich mich an Rupf als Gurnemanz in Theo Adams Inszenierung »Parsifal«, alternierend mit Siegfried Vogel und Adam selbst erinnere. Riemer war Melot im Leipziger »Tristan« von 1981, da war ich natürlich wegen des Rollendebüts von Siegrid Kehl als Isolde angereist, das war spannend, in einer weiteren Aufführung sang dann auch Konrad Rupf die Partie des König Marke. Erwähnen möchte ich auch den Bassisten Kurt Rösinger, in Leipzig vornehmlich, auch in Wagnerpartien, ebenso als Gast in Dresden.
Für mich unvergessen, Kurt Rösinger als Alfred P. Doolittle mit der grandiosen Margot Ebert als Eliza in der Musikalischen Komödie, kurz MUKO genannt. Und nicht zu vergessen, immer kraftvoll, zuverlässig, in Berlin oder Dresden, im Chor der Walküren als Waltraute, als Freia im »Rheingold« zum krönenden Abschluss einer beachtlichen Laufbahn noch die Brünnhilde in der »Walküre« und im »Siegfried« in Magdeburg, 1989 und 1990, Renate Frank-Reinecke.
Und noch eine Erinnerung, die sich aber nur auf Berichte und Bücher, und natürlich auf historische Aufnahmen beziehen kann: Sie kam aus Schwarzenberg im Erzgebirge wo sie 1894 als Lisbeth Sättler geboren wurde und der Dirigent Arturo Toscanini bewunderte sie 1929 nach einer Aida-Aufführung an der Mailänder Scala als die größte lebende Sängerin.
Bekannt geworden ist sie als Elisabeth Rethberg, ihr Weg führte aus dem Erzgebirge nach Dresden, zunächst ließ sie sich als Pianistin ausbilden, dann wurde die Stimme entdeckt, Otto Watrin war ihr Lehrer. 1915 debütierte sie an der Dresdner Hofoper, eine kleine Rolle, in der Operette »Der Zigeunerbaron«. Aber dann, bis 1922 begeisterte sie die Dresdner verwöhnten Opernfreunde, Elisabeth Rethberg und der junge Tenor Richard Tauber, das Traumpaar. Es heißt, dass die Sängerin in den sieben Dresdner Jahren ein Repertoire von rund 100 Rollen erarbeitet hat. Mit diesem Grundstock verließ sie Dresden und reiste nach New York. Es kann keine Anekdote sein, denn in allen Biografien liest man, dass sie gleich nach der Ankunft ins Opernhaus musste und noch im Reisemantel eine Probe als Aida absolvierte. Die Musiker sollen sie gefeiert haben, das Publikum schloss sie ins Herz und eine 20jährige Karriere begann, für die Sängerin, die im im deutschen Fach ebenso glänzend war wie im italienischen, die in Dresden begonnen hatte. Wenn sie nach Dresden kam, dann – so wird berichtet – gab es Rethberg-Festwochen an der Hofoper. 1928 sang sie hier auch die Titelpartie zur Uraufführung der Oper „Die Ägyptische Helena“ von Richard Strauss unter der Leitung von Fritz Busch. Ich nenne Elisabeth Rethberg in meinem Alphabet der Erinnerungen, weil es Aufnahmen von ihr mit Ausschnitten aus Wagneropern gibt, die zu meinen liebsten gehören. Das muss man einfach gehört haben, diesen scheinbar so gänzlich natürlichen Klang, etwa als Elsa „Einsam in trüben Tagen“, von 1927 oder der bei aller Euphorie doch etwas verhaltene Jubel als Elisabeth „Dich teure Halle grüß ich wieder..“, auch von 1927 und dann drei Jahre später aufgenommen dieser so klare, unerbittliche, bestimmte Ton in einer vorandrängenden, dann wieder so berührend innehaltenden Interpretation der Ballade der Senta aus »Der Fliegende Holländer«.
Es folgt das „S“ im Alphabet der Erinnerungen. Da muss ich mich jeweils kurz fassen, denn meine Notizen umfassen bislang 17 Namen von Sängerinnen und Sängern, Gisela Schröter, Ute Selbig, Vera Soukupova, Ingrid Steger, Eva-Maria Straussova, Liane Synek oder Gertrud Stilo bei den Damen. Peter Schreier, Peter Jürgen Schmidt und Dieter Schwartner sind die Tenöre, im tieferen Fach sind es Karl-Heinz Stryzek, Antonin Svorc und Rainer Süß, auch an den so hoffnungsvollen Einstieg von Frank-Peter Späthe erinnere ich mich.