Was für ein denkwürdiges Datum: Auf den Tag genau vor 24 Jahren erhielt in Leipzig die Straße des 18. Oktober eine ganz neue Bedeutung. Abstimmen mit den Füßen nannte man das in jener Zeit.
Heute jedoch stampfen wieder hunderte, ja tausende Menschen über die Felder rings um die Stadt, sie haben sich freiwillig in ganz schreckliche Kostüme gezwängt und geben, ob es wer wissen will oder nicht, von ihrem Geschichtsbewusstsein und ihrem Verstandesumfang Bescheid. Zweihundert Jahre nach der sogenannten Völkerschlacht, da wird wieder bierselig gesungen von Lützows wilder, verwegener, dämlicher Jagd. Der arme Kerl, der schlichte Dichter, er ist jämmerlich verreckt wie Hunderttausende andere aus vieler Herren Länder – und keiner dieser Herren ist es wert gewesen. Körner hat es besonders hart getroffen, das schreckliche Schicksal. Nicht nur, dass der so hoffnungsvoll an der Dresdner Kreuzschule unterwiesene Knabe mit seinen 21 Jahren keine besser Zukunft fand als ausgerechnet den Waffenrock und die tödliche Kugel – wie zum Hohn thront sein Denkmal heute just auf dem Georgplatz von Dresden. Benannt nach Sachsens vorletztem Korps-König, einem Wettiner-Wicht und Generalfeldmarschall!
Blicken wir nach vorn an diesem 18. Oktober, der für die Sächsische Staatsoper ein neues Kapitel mit europäischer Zukunft einleiten soll. Zwar übernahm mit Serge Dorny nun nicht ausgerechnet ein Franzose das Haus, exakt 200 Jahre nach dem unfreiwilligen Heimgang Napoleons, doch der Belgier ist ja immerhin in Lyon beschäftigt. Und zwar als überaus erfolgreicher Intendant der Opéra National, wo er seit zehn Jahren tätig ist.
Wenn so eine Persönlichkeit nach Dresden kommt, ist die Aufmerksamkeit natürlich groß. Im Foyer der Semperoper wird lauthals getuschelt, nachdem Sachsens Kunstministerin verspricht, sie werde sich auch im nächsten Doppelhaushalt stark dafür machen, dass Semperoper und Staatskapelle (das Staatsschauspiel gehört im Verbund mit dazu) eine auch finanziell gesicherte Zukunft haben werden. Einem Kollegen aus Sachsen-Anhalt entfährt der Wunsch, solche Kulturpolitik auch mal im Land der Frühaufsteher erleben zu dürfen. Da wird bekanntlich gerade abgewickelt, wo es nur geht, da wird fusioniert, wo es eigentlich nicht geht, da rollen Köpfe, wo sich deren Träger als herausragend erwiesen haben.
Falls das ein Plädoyer für gründliches Ausschlafen ist, sollte es recht sein. Von Dresden aus sind gerade zwei Orchester als Kulturbotschafter in der Welt unterwegs – die Staatskapelle unter ihrem Ersten Gastdirigenten Myung-Whun Chung auf Europatournee, die Philharmonie unter ihrem gerade im Vertrag verlängerten Chefdirigenten Michael Sanderling bis Monatsende in Asien.
Musik kennt keine Grenzen? Sie überwindet sie, friedlich.
Bis nächsten Freitag, ganz herzlich –
Michael Ernst