Inoffiziell waren die diesjährigen Osterfestspiele Salzburg zwar dem 150. Geburtstag von Richard Strauss gewidmet, der am 11. Juni bevorsteht, ein klein wenig auch dem 25. Todestag des Festivalgründers Herbert von Karajan (am 16. Juli), doch unterm Strich ging es um Liebe. Um Liebe zur Musik, das sowieso, darüber hinaus aber ganz und gar um die sowohl schönste als auch schwierigste Sache der Menschheit.
Im Kinderkonzert der »Kapelle für Kids« ging das vorigen Freitag schon los. Da hatte die Puppe Alma zwar den „Schall im Nacken“, gemeint war aber ganz gewiss der dahintersteckende Schalk. Ein bekennender Narr also. Ein gewitzter Gesell namens Till Eulenspiegel, die gleichnamige Tondichtung von Richard Strauss erklang denn auch – in einer eigenständigen Fassung für sechs Instrumentalisten von Franz Hasenöhrl – gleich mehrfach. Um dem jungen Publikum die Liebe zur Musik, zu den Protagonisten und zu den einzelnen Instrumenten nahezubringen. Oder sie zumindest zu wecken. Die Resonanz in der kinderreichen Universitätsaula war gewaltig. Kein Wunder, dass sich die Puppe Alma heftig in ihren „Tilli“ verliebt hat.
Derlei Schabernack ist ein Novum zu den Osterfestspielen, und wurde erst voriges Jahr mit dem Einwechseln der Sächsischen Staatskapelle Dresden als Residenzorchester des 1967 durch Herbert von Karajan mit den Berliner Philharmonikern gegründeten Elitefestivals eingeführt. Ebenso neu ist das »Konzert für Salzburg«, ein kostengünstiges Angebot für die Einwohner der Festspielstadt, um auch mal ohne Mitgliedschaft im Verein der Förderer und unabhängig von einem Abonnement in den Genuss eines Konzerts im Großen Festspielhaus zu kommen. Ist es doch kein Geheimnis: die Osterfestspiele waren, und sie sind teuer, trotz einiger Preiskorrekturen. So kostete etwa eine Karte in der vorletzten Reihe im Parkett bisher 370,- Euro; diese mittlere Preisklasse soll ab dem nächsten Jahr preiswerter sein. Schon dieses Jahr waren aus Imagegründen alle Ticketpreise über 500,- Euro pro Karte – ein Preisniveau, das von Salzburgs Kulturschickeria stets ohne mit der gezupften Wimper zu zucken bezahlt wurde – gekappt worden.
Das von großen Namen und schönen Stimmen verwöhnte Publikum durfte hier einmal mehr der neuentdeckten Liebe zu Hanna-Elisabeth Müller frönen, die größte Entdeckung der diesjährigen Festspiele. Die in Mannheim geborene Sängerin, derzeit an der Bayerischen Staatsoper München engagiert, debütierte als Zdenka in der Premiere von »Arabella« und hatte das Auditorium mit ihrem glockenhellen Sopran sofort überwältigt. Spielerische Leichtigkeit und vokale Beweglichkeit, gepaart mit traumwandlerischer Sicherheit in allen Lagen: das sind die Attribute dieser Sängerin.
Nach ihrem Einstand mit der Strauss-Oper sprang Hanna-Elisabeth Müller kurzentschlossen als Konzertsängerin ein und gestaltete in Vertretung von Thomas Hampson, der sich auf ärztlichen Rat schonen soll, ebenso umwerfend zwei Lieder von Strauss sowie zwei Arien von Mozart. Herzerwärmend, wie sie als »Figaro«-Gräfin über die eigenen Gefühle nachsinnen ließ. Mit einer gänzlich anderen Emotionalität klang dieses einmalige Konzert ekstatisch aus und schickte das Publikum nach Straussens Schleiertanz aus »Salome« in den lauen Abend.
Alle anderen Konzerte erklingen in zwei Serien. So wird morgen noch einmal die 1933 in Dresden uraufgeführte »Arabella« in der Inszenierung von Florentine Klepper mit der Starbesetzung Renée Fleming (Arabella), Thomas Hampson (Mandryka), Hanna-Elisabeth Müller (Zdenka) und Daniel Behle (Matteo) aufgeführt werden, bevor sie ab 7. November zu den Richard-Strauss-Tagen auch in Dresden zu erleben sein wird. Die Liebe, um die es darin geht, hat erst einmal ein Geldproblem, ist dann allerdings ausschließlich auf äußere Schönheit begründet. Innere Werte? Fehlanzeige. Arabella, die Schöne, wird nur ihrer Erscheinung wegen geliebt. Mandryka hat lediglich ein Bildnis dieser Frau gesehen und will sie so unbedingt, wie ein Mann eine Frau nur auf der Bühne unbedingt haben will. Immerhin sind damit die adligen Armutsnöte von Arabellas Eltern sowie insbesondere die Spielsucht des Rittmeister a.D. gelöst und muss sich ihre Schwester Zdenka endlich nicht länger als Bruder Zdenko verkleiden, sondern darf sich als Mädchen, nein: gleich als Frau beweisen. Das macht sie so toll, dass auch Arabellas glückloser Verehrer Matteo umgehend erlöst ist und am Ende der Oper (die eigentlich »Arabella und Zdenka« heißen müsste!) zwei Liebespaare dastehen.
Davon kann bei Peter Tschaikowskys Oper »Eugen Onegin« nicht die Rede sein.Hier geht die Entwicklung ja in tragischer Weise einen entgegengesetzten Weg. Von zwei jugendfrischen Pärchen bleiben übrig: ein toter Mann und dessen verzweifelt einsamer Freund sowie eine treu, aber unglücklich verheiratete Tatjana. Das gibt’s zwar nicht im Großen Festspielhaus und kommt auch nicht aus Dresden, vermittelt aber einen klaren Eindruck, wie es ansonsten in der Partnerstadt Salzburg klingt.
Im vor 120 Jahren gegründeten Landestheater, Ort des Karrierestarts eines Max Reinhardt, ist die runde Saison mit dem Motto „Mut proben“ betitelt. Man kann die zwei Worte auch als eines lesen und hat dann ein Gefühl für das Wagnis, mit dem Mozarteumorchester den Onegin anzugehen. So klassisch einerseits die Inszenierung von André Heller-Lopes geraten ist, in der Onegin als Titelheld schwarzgekleidet inmitten von lauter ganz in Weiß gewandeten Menschen heraussticht (Außenseiter, aha!), so originell sind andererseits mitunter die Tempovorstellungen auf der Bühne und im Graben. Da klafft so manches Zeitmaß weiter auseinander als die ohnehin schon sehr unterschiedlichen Liebesvorstellungen von Onegin und Tatjana.
Die meisten der gutbetuchten Schickerianer kommen aus Liebe zu Salzburg und zur schönen Tradition an die Salzach und werden sich wohl nur in Ausnahmefällen ins Landestheater verirren. Wer es doch tut, hatte vorm Auftakt der Osterfestspiele Gelegenheit zum Premierenbesuch von Peter Handkes Sommerdialog »Die schönen Tage von Aranjuez«. Handke und Salzburg? Das ist eigentlich ein Muss. Schließlich hat der Autor fast ein Jahrzehnt auf dem Mönchsberg gelebt und geliebt. Nicht nur der »Nachmittag eines Schriftstellers« und »Die Wiederholung« sind dort entstanden.
Die 2012 in Wien uraufgeführten »Schönen Tage« dürfen ebenfalls als Mutprobe verstanden werden, zumal in Michael Bleiziffers arg eingekürzter Inszenierung. Ein sperriger Text über ein Paar, das sich zwischen Vergangenheits-Striptease und Sehnsucht nach Zukunft nicht recht entscheiden mag. Beatrix Doderer und Gero Nievelstein (namenlos als Die Frau und Der Mann, anonymer geht es wohl kaum) gehen brav mit dem Text baden – einer Ausstattungsidee sei Dank, die Wanne und Tischplatte zum Hauptgegenstand dieses Sommerdialogs zusammenzimmerte. Dieses Paar, so scheint's, hat miteinander nichts zu tun. Der ewig liebestolle Mozart hätte sich seinen Reim darauf gemacht. Der stand – neben Jubilar Richard Strauss und Capell-Compositeur Wolfgang Rihm – im kompositorischen Dreiklang der diesjährigen Osterfestspiele. Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle, das war wohl doch eine Liebesheirat – aus sehr vernünftigen Gründen.