„Du lass dich nicht verhärten / in dieser harten Zeit. / Die all zu hart sind, brechen / die all zu spitz sind, stechen / und brechen ab sogleich. / Du lass dich nicht verbittern / in dieser bittren Zeit.“ Es ist eines der bekanntesten Lieder von Wolf Biermann, der 1936 in Hamburg geboren wurde, mit 16 bekenntnishaft in die DDR zog, die ihn 1976 wieder ausbürgerte, während er ein Konzert in Köln gab.
Ob dieser Auftritt oder sein spektakuläres Gastspiel in der Leipziger Messehalle 2 am bitterkalten 1. Dezember 1989 nun das berühmteste Konzert von Wolf Biermann gewesen ist, sei dahingestellt. Fakt ist, nach dem langen Abend vor westdeutschen Gewerkschaftlern blieb die Deutsche Demokratische Republik für ihn tabu. Lediglich zu einem letzten Wiedersehen mit dem sterbenskranken Robert Havemann (damals der Schwiegervater von Biermann) durfte der Liedermacher 1982 unter strengen Auflagen noch einmal nach Ostberlin reisen.
Nun kommt er neuerlich nach Dresden, wo er zuletzt im Schauspielhaus gastierte. Hier hat der heute wieder in seiner Geburtsstadt Hamburg lebende Barde viele Freunde. Hier ist auch das 1973 noch unter dem Namen Synopsis gegründete Zentralquartett so gut wie zu Hause. Die vier Jazzer Conny Bauer (Posaune), Ernst-Ludwig Petrowsky (Klarinette, Saxofon, Flöten), Ulrich Gumpert (Piano) und Günter Baby Sommer (Schlagzeug) haben musikalische Mauern schon zum Einstürzen gebracht, als ein Wort wie Improvisieren noch gar nicht durchbuchstabiert war. Dass der einst am Zentralkomitee der SED gescheiterte Liedermacher nun zum Free Jazz mit dem Zentralquartett in eine Kirche ziehen wird – wer hätte das gedacht! Aber letztlich ist das orthodoxe Zentralkomitee ja auch viel mehr am Wolf und seinen frechen Liedern gescheitert. Selbst ein Hermann Kant hatte seinerzeit halblaut formuliert, dass der inzwischen untergegangene Staat sich einen Künstler wie Biermann doch leisten können sollte – nicht einmal für ihren Vorzeigeschriftsteller hatten die Politbürokraten noch ein offenes Ohr.
Das ist alles Geschichte. Seit einem Vierteljahrhundert wehen andere Winde durchs offene Land und bestreichen die nun blühenden Landschaften. Das Volk wird schon bald wieder seinen Kohl beknabbern, der wie stets einen jeden Diederich Heßling gern anbeißen lässt. Wolf Biermann und die vier Jazzer des Zentralquartetts jedoch wollen mit ihrem ersten gemeinsamen Konzert noch einmal an den Herbst von 1989 erinnern. Nicht zufällig ist es mit »Ermutigung« überschrieben.
Gut möglich, dass dieser Titel und sein Inhalt viel aktueller ist als gedacht. Der Barde selbst sieht es so: „Alle Menschen, die irgendwie lebendig in einer Gesellschaft stecken, kämpfen mit Verzweiflung, mit Angst und Resignation. Also brauchen sie in diesem ewigen Streit der Welt, der so alt ist wie die Menschheit und in neuem Gewande immer wieder entfacht wird, auch immer wieder Ermutigung.“ Wolf Biermann, bald 78 Jahre jung, mischt sich also noch immer, mischt sich immer wieder ein. Erst kürzlich hat er ein Lied zur Russland-Politik des KGB-Spitzels Putin geschrieben, zum Konflikt um Krim und Ukraine.
Das aber wird am Sonntag in der Kreuzkirche noch nicht zu hören sein. Statt dessen gibt es die legendären Biermann-Lieder und Jazzquartett-Stücke erst einmal im Original, bevor die Gitarre des Sängers zum Schweigen verurteilt wird und er seine Songs im Arrangement der frechen Jazzer vortragen wird.
Im Grunde genommen sind Wolf Biermann und das Zentralquartett zwei Elemente, die überhaupt nicht zueinander passen. Der Sänger jedoch sieht’s so: „Wir haben in gewisser Weise dieselben Wurzeln im Blues. Der Free Jazz wollte sich von den Gesetzen des Jazz befreien, auch meine Lieder sind eine Art Blues, deutscher Blues eben. Meine ersten Konzerte in Amerika wurden als preußischer Blues angekündigt!“
Er und die vier Jazzlegenden kennen sich schon sehr lange. Günter Baby Sommer hatte Biermann bereits vor fast fünfzig Jahren für die – erzwungenermaßen anonyme – Mitwirkung seiner beim Label CBS erschienenen „Bilanzballade im 30. Jahr“ gewonnen. Gar „missbraucht“ habe er ihn, wie Biermann selbst sagt, „zu einer Tonaufnahme in meiner Wohnung in der Berliner Chausseestraße 131“. Dort standen Tag und Nacht sechs Spitzel der Staatssicherheit vor der Tür, es wäre „sehr ungesund für Baby Sommer gewesen, wenn er sein Schlagzeug durchs Haus geschleppt hätte. Also kam er mit bloßen Händen und nahm eine mit den Matchbox-Autos meiner Kinder gefüllte Keksdose als Schlagzeug. Ein geiles Geräusch!“
Vor seinem Dresden-Konzert – eine weitere „Ermutigung“ folgt am 8. November im Berliner Ensemble zum Vorabend des Mauerfalls vor 25 Jahren – blickt Wolf Biermann allerdings nicht nur zurück. Dass er nach wie vor neue Lieder schreibt, sei für ihn selbstverständlich: „Das ist so, als ob Sie mich fragen, ob ich noch esse, trinke oder atme. Natürlich!“
ERMUTIGUNG. Wolf Biermann und das Zentralquartett, Sonderkonzert anläßlich von 25 Jahren friedlicher Revolution
Sonntag, 2. November, 19 Uhr, Kreuzkirche (Einlass ab 18 Uhr)
Karten an allen bekannten Vorverkaufsstellen (VVK 12 Euro zzgl. Gebühren, Abendkasse 15 Euro)