Was für „Tatort“ und „Wetten, dass“ gilt, überträgt sich mittlerweile in etwas kleinerer Runde auch auf klassische Konzerte. Fleißig wird da – natürlich live – mitgetwittert, kommentiert, gejubelt und verrissen. Nicht selten erhält man über die 140 Zeichen des Tweets spontane, ehrliche Äußerungen, bekommt manch kunstfertigen Kommentar geliefert oder auch Stoff zum Weiterdenken. In jedem Fall bildet sich so ein buntes Online-Feedback, das nicht mit dem Aufwand eines Leserbriefs vergleichbar ist, eher mit dem Aufschnappen der Unterhaltungs-Schnipsel aus dem Foyer. Künftig werden wir, wenn wir nicht gleich vor Ort sind, daher von Zeit zu Zeit die Online-Reaktionen hier vorstellen.
Heute also schauen wir uns die Reaktionen auf das Silvesterkonzert der Sächsischen Staatskapelle Dresden an – die konzertant dargebotene Operette „Die Csárdásfürstin“ von Emmerich Kálmán wurde zeitversetzt im ZDF übertragen. Manch eine harsche Kritik dürfte schon allein dadurch erklärbar sein, dass manche zufällig einschalteten und gar nicht wussten, dass es eine konzertante Aufführung war. Ansonsten war die Twittergemeinde hin- und hergerissen. @MmeSchnuerschuh schrieb: „Jetzt hab ich auch mal »Die Csárdásfürstin« mit Anna Netrebko gesehen und kann in Ruhe sterben.“
@MarkusThielNews hingegen war nicht zufrieden: „Herrliche Operettenparodie im @zdf. Csardasfürstin mit Netrebko aus der @semperoper. Ich fürchte, die meinen es ernst“ – Offenbar andere Erfahrungen mit Operettenaufführungen hat auch @rossignol: „Kann ja sein, dass Thielemann Operette liebt, er kann sie nur einfach nicht. “ — Einige beschäftigten sich auch mit musikalischen Details oder der Präsentation: @everyXmas: „Top Aussprache, Juan Diego Flórez, die Netrebko versteh ich leider kaum. :/ Dafür ist ihre Schauspielerei besser.“ – Und auch Fans kamen auf ihre Kosten und schwärmten: @StevenZielske: „#netrebko einfach klasse die Frau“.
Dass die Solisten, allesamt Stars der Szene, mit einem Auge in den Noten hingen und mit dem anderen beim Dirigenten, wurde mehrfach bemängelt: @ptrickhahn: „stars singen csardasfürstin: und keiner kanns auswendig“ Und @k_geld stellte fest: „Mein Rotweinglas ist gerade geplatzt.“ – na Hauptsache, der Bildschirm ist ganz geblieben. @operafangirl bemängelte: „Netrebko’s hairstylist managed to make her look 10 years older than she actually is… “
Wie gute Weine sind auch Sopranstimmen natürlich Geschmacksache: @van_Roehlek: „anna netrebko singt mir wie rotwein, der zwar nicht schief schmeckt, aber übervoll im mund. und später plagen dich tierische kopfschmerzen.“- Tja, und am liebsten hätte der folgende Schreiber die komplette Aufführung in s/w gehabt: @cm2111: „Aber bei all den Stars muss man auch feststellen, Operette, gespielt und gesungen wie früher, ist das nicht …trotzdem schön.“
Mein persönliches Fazit: Viel Glanz und Glamour im semperschen Elfenbeinturm. Wir ziehen die Tür hinter uns zu, lupfen die Röcke und klatschen im Takt. — „Heute lassen wir es uns mal gutgehen.“ – das war schon 1915 die Devise von Kálmán. Ob man sich wirklich angesichts von soviel Blendwerk und Zuckerguss am Jahresende nach der dreiviertaktlastigen Musik im steifen Steh- und Hüpfgewande so bedeutend wohler fühlt, möge jeder für sich selbst beantworten.
Bild Anna Netrebko: Dario Acosta