Dass sie mit einer schweren Erkrankung zu kämpfen hatte, war lange schon bekannt. Wie sie damit umging und sich dennoch dem Leben zuwandte, das war mitunter dermaßen bewunderungswürdig, dass diese Art angesichts der Endlichkeit zu leben die Dimensionen eines Wunders streifte. Am Montag ist Gabriele Auenmüller im Alter von 63 Jahren verstorben. Die gläubige und praktizierende Christin sei friedlich entschlafen, hieß es gestern Abend in der Semperoper vor Beginn der Aufführung der Oper „Der Freischütz“. Die Sächsische Staatsoper widmete diese Aufführung Gabriele Auenmüller, die vor fast genau 40 Jahren ins Dresdner Ensemble kam, als junge lyrische Sopranistin.
Zu ihren Partien zählte auch die des Ännchens in Carl Maria von Webers romantischer Oper. Als dieses so eng mit Dresden verbundene Werk am 1. Mai dieses Jahres in einer Neuinszenierung anlässlich des 30. Jahrestages der Eröffnung des neuerbauten Opernhauses seine Premiere feierte, war Gabriele Auenmüller die Souffleuse, eben jene gute Fee im Kasten, deren absolute Verlässlichkeit die Sänger gerade an einem Premierenabend mit allem Stress und allen Nervositäten so schätzen. Jawohl, schätzen: noch ist es nicht an der Zeit, in der Vergangenheit zu sprechen, denn die Leistungen von Gabriele Auenmüller sind gegenwärtig.
Man wird sie nicht nur in Dresden vermissen. Auch in Bayreuth zum Festspielsommer wird sie fehlen, wo sie Christian Thielemann im Jahre 2000 kennen und schätzen lernte und sie deshalb auch in ihrer Funktion als Souffleuse einlud, zum Gelingen der von ihm dirigierten Opernaufführungen bei den Salzburger Osterfestspielen beizutragen.
Beim tosenden Schlussapplaus nach der Premiere, am 1. Mai dieses Jahres, hat es Christian Thielemann auch nicht versäumt sich herabzubeugen, die Hand auszustrecken in den Souffleurkasten, um sich bei Gabriele Auenmüller zu bedanken. Ebenso wie den Sängern ist ihm bewusst, wie wichtig es ist, sich auf diese Mitarbeiterin (oder sollte man doch besser und gerechter sprechen von einer Mitwirkenden?) verlassen zu können. In der Oper geht es ja nicht nur darum, mit der Ansage des Textes einzuhelfen. Hier sind Musikalität und Sensibilität vonnöten. Es gilt auch Einsätze anzuzeigen und mit den Sängern zu atmen, um Verzögerungen oder ungeplante Tempowechsel auszugleichen. Eine Opernsouffleuse ist nicht selten die unsichtbare, aber lebenswichtige Verbindung zwischen dem Dirigenten und den Sängern auf der Bühne. Und da brachte Gabriele Auenmüller die besten Voraussetzungen mit.
Die Tochter des Dirigenten Hans Auenmüller absolvierte in Dresden ihr Gesangsstudium. Als junge Sopranistin war sie in Halberstadt engagiert, wo ihr Vater das Amt des Generalmusikdirektors innehatte. Hier habe ich sie zum ersten Mal erlebt, als Sophie im „Rosenkavalier“. Als Marschallin und Ochs gastierten Ingeborg Zobel und Werner Haseleu aus dem Ensemble der Staatsoper Dresden. Ab 1975 gehörte auch Gabriele Auenmüller zu diesem Ensemble, damals noch im heutigen Schauspielhaus, dem Großen Haus, beheimatet. Als zehn Jahre später, am 13. Februar 1985, der dritte Semperbau eröffnet wurde, wirkte sie in der eigens dafür geschaffenen Uraufführung der Oper „Cornet“ von Siegfried Matthus mit. Dresdner Opernfreunde werden sich auch an ihre liebevolle Interpretation der Zerlina in Aufführungen von Mozarts „Don Giovanni“ erinnern.
Als sie 1991 ihre aktive Karriere als Opern- und Konzertsängerin beenden musste, begann ein neuer Lebensabschnitt, verbunden mit einer beruflichen Veränderung, eben als Souffleuse. In meinem kleinen Buch mit Erinnerungen an Wagnersängerinnen und -sänger habe ich auch Gabriele Auenmüller einen Abschnitt gewidmet. Nicht, weil sie eine Wagnersängerin war; nein, weil sie es war, ohne deren Zauberarbeit als eben jene gute Fee im Kasten, so mancher Star, gerade bei Gastspielen und Auftritten in unbekannten Inszenierungen, bei raschen Übernahmen oder bei mitunter schwierigen Eigenheiten des Dirigierstils der reisenden Maestri, seine Beifallsstürme gar nicht hätte genießen können. Für nicht wenige Sängerinnen und Sänger ist sie die beste, vor allem umsichtigste und gesangserfahrene Souffleuse, der sie bislang nicht geringe Anteile ihrer Erfolge zu verdanken haben. Die Butter, wie das Sprichwort sagt, ließ sich Gabriele Auenmüller nicht vom Brot nehmen. Dass auch die Brote ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht zu trocken und zu hart wurden, das war ihr ein Anliegen. So wirkte sie mehrere Jahre als Vorsitzende des Personalrates der Sächsischen Staatsoper und war Sprecherin der Solistinnen und Solisten.
Engagiert beteiligte sie sich am Leben ihrer Kirchgemeinde: mit ihren musikalischen und darstellerischen Erfahrungen konnte sie junge Leute begeistern, etwa bei der jährlichen Einstudierung des Weihnachtsspieles. Da war sie immer auf der Suche nach neuen Texten und Varianten, um eine alte Geschichte den Menschen von heute angemessen zu vermitteln. Und das Engagement hörte nicht auf an den Grenzen der persönlichen Bezüge. Für ganz Dresden galt es, Zeichen zu setzen, etwa mit dem Tragen einer weißen Rose am Gedenktag der Zerstörung, am 13. Februar. Auch hier gehörte Gabriele Auenmüller zu den Begründern dieser Initiative. Sie wurde dafür mit der Sächsischen Verfassungsmedaille geehrt.
Jetzt ist Gabriele Auenmüller gestorben. Eine Opernvorstellung hat man ihr in Dankbarkeit gewidmet. Kolleginnen und Kollegen werden ihren Platz im Souffleurkasten einnehmen, in Salzburg, in Bayreuth und in Dresden, wo Menschen, die den Namen Gabriele Auenmüller nie gehört haben, am 13. Februar weiße Rosen tragen. Aber das dürfte ganz in ihrem Sinne sein.