Vielleicht war es alles in allem zu viel des Guten. Viele Ideen steckten in dieser Figaro-Umsetzung. Allen die angemessene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, erwies sich als schwierig.
Die Oper begann mit einer präzise und fein nuanciert gespielten Ouvertüre. Im ersten Akt, der auf einer schlichten, aber trickreich ausgestatteten Bretterbühne spielt, sind Spiel und Kostüme ganz im Stil der Commedia dell’arte gehalten: Altes Theater, gefolgt von Rokokotheater im zweiten und dritten Akt, das im vierten vom modernen Theaterspiel abgelöst wird: die Inszenierung ist eine Zeitreise durch die Theatergeschichte. Und dies ist konsequent umgesetzt: Je nach Epoche zeigt sich das Bühnenbild, die Maske, natürlich die Schauspielmanier der Sänger und auch die Instrumentation. Während er zu Beginn die Rezitative am Cembalo begleitete, griff Omer Meir Wellber später zum Akkordeon und einigen Takten aus Edith Piafs „La Vie en Rose“.
Mit der Dreiteilung der Theatertraditionen sollte der Bezug zur Werksgrundlage (Beaumarchais Trilogie „Le barbier de Séville – La folle journée – La mère cupable“) geschaffen werden. Durch leichte Verweise wollte diese Umsetzung auch schon auf die weiteren Figaro-Geschichten verweisen: beispielsweise mimte der Figaro-Darsteller Zachary Nelson während seiner ersten Arie auf dem dazugehörigen Stuhl Babiertätigkeiten. Die dazugehörigen kleinen Akrobatikeinlagen taten seinem kraftvollen, schön profundem Gesang aber keinen Abbruch.
Durch omnipräsente Bühnentechniker, gespielt von Tänzern, die unter Tischen lagen, während darüber gespielt wurde, Treppenkulissen oder Scheinwerfer auf- und abbauten und dabei das Warten dazwischen inszenierten, sollte die Theatersituation, das Spiel im Spiel betont werden. Dazu kam das komödiantische Versteck- und Verkleidungsspiel um Verschwörungspläne der beiden Gruppen: Der Graf von Almaviva verbündet sich mit dem Gesangslehrer Basilio sowie Bartolo und Marcellina, die sich im Verlauf der Handlung als Figaros vermisste Eltern entpuppen, anfangs allerdings noch die Hochzeit von Figaro und Susanna verhindern wollen. Figaro, Susanna und die Gräfin von Almaviva planen die Hochzeit voranzutreiben und den Grafen hereinlegen, indem sie den jungen Cherubino als Frau verkleidet zum Treffpunkt schicken wollen, an dem der Graf die von ihm begehrte Susanna erwartet. All das auf italienisch mit deutschen Obertiteln: schon ohne spezielle Inszenierung ist die Aufmerksamkeit des nur mäßig figaroesk vorinformierten Zuschauers gefordert. Würde der sich nicht zwangsläufig in dem eklektizistisch anmutenden Konglomerat diverser Elemente verlieren?
Sehr viel sehr Gutes boten an diesem Abend die Musiker: Die Sächsische Staatskapelle musizierte wunderbar unter der Leitung von Omer Meir Wellber und trug den hellen, bezaubernden Gesang von Cherubino-Darstellerin Christina Bock durch den Raum. Auch die angenehm klare, junge Stimme von Susanna (Emily Dorn) ergänzte Figaros tragende Tiefen gut. Selten ging ihr Gesang etwas in der orchestralen Vielstimmigkeit unter, verlor sich aber nie.
Als ein weiterer Publikumsliebling zeigte sich Sarah-Jane Brandon, die eine leidenschaftliche Gräfin sehr facettenreich und einfühlsam sang und auch der Graf-Darsteller Christoph Pohl überzeugte mit seinem sicheren und tadellosen Gesang. Auch die Nebenrollen wie Barbarina (Tuuli Takala), Marcellina (Sabine Brohm) oder Antonio (Alexander Hajek) ernteten berechtigte Begeisterung. Unterstützt wurden sie vom Chor der Sächsischen Staatsoper, der in unterschiedlichen Kostümen diese besondere Inszenierung bereicherte.
Was für den Einen eine neuartige, fast schon zu abwechslungsreiche Figaro-Inszenierung war, mag den Anderen, dessen unablässige Aufmerksamkeit von so vielen kleinen und größeren Details gefordert wurde und vielleicht hier und da der Musik abhanden ging, eher verunsichert und wenig angetan haben. Wenig abgeschlossen wirkte zumindest die letzte Szene: In Schlafanzügen und Bademänteln präsentierten die Darsteller die Gartenszene, die als Arrangement versetzter Terrassen gezeigt wurde. Die letzte gemeinsame Arie zu genießen, war ob der andauernden Umbauten eine Herausforderung: Kaum konnte man sich orientieren, fiel der Vorhang.
Begeistert applaudierte das Publikum den Sängern; besonders Emliy Dorn, Christina Bock und Sarah-Jane Brandon hatten es ihm angetan. Anschließend betrat das Inszenierungsteam die Bühne, unter der Leitung von Johannes Erath bestand es aus Katrin Connan (Bühnenbild), Birgit Wentsch (Kostüme), Noëlle Blancpain (Künstlerische Mitarbeit Kostüme), Fabio Antoci (Licht) und Francis Hüsers (Dramaturgie). Ihnen schallten empörte, laute Buh-Rufe, aber auch begeisterte Bravi entgegen. Dieser „Figaro“ fordert den Zuschauer eben heraus, vielleicht über die Grenzen seiner Aufmerksamkeit hinaus. Alles in allem ist dies eine sehr bunte, sehr neuartige Inszenierung, die viele Urteile hervorrufen wird – aber bestimmt keinen belanglosen Beifall.