Peter Schreier, jetzt hat Dresden eine Sängerin als „First Lady“: Su Yeon Hilbert. War das der Grund, warum Sie sich im Wahlkampf für Dirk Hilbert als OB aussprachen?
Na, das macht mir ihn gleich sympathisch. Im Ernst, er hat Helma Orosz würdig vertreten und mit dem Amt Erfahrung. Ich habe ihn gewählt, weil er für mich in vielen Fragen kompetent erscheint und die Sache hier ganz gut über die Zeit gebracht hat. Frau Stange möchte ich als Kunstministerin nicht missen. Dort macht sie eine exzellente Arbeit.
Kürzlich sah ich ein Foto: Sie singen, Ihr Vater, Kantor Schreier, am Klavier. Diese Konstellation kennen wohl wenige Ihrer Hörer.
Tatsächlich habe ich mit meinem Vater manches Mal Rollen einstudiert. Hauptsächlich ging das damals ums Rheingold. Ich war in ziemlicher Bedrängnis und musste den Loge lernen. In der kurzen Zeit kann man das einem Korrepetitor gar nicht zumuten. Und da hat mein Vater mit mir gebimst! Er musste das ja auch üben, den Wagner konnte er nicht so ohne weiteres vom Blatt spielen… Sonst habe ich mir aber meistens für die Einstudierungen genügend Zeit genommen, alles peu à peu angegangen.
Im „Turm“-Roman von Uwe Tellkamp habe ich das erste Mal vom schwedischen Tenor Torsten Ralf gelesen, der in Ihrem Geburtsjahr – 1935 – an die Dresdner Staatsoper kam. Später sang er in Berlin, in London, in Wien und unter Fritz Busch auch an der Met. Er muss einen ziemlichen Eindruck auf Sie gemacht haben – schließlich heißen Ihre beiden Söhne Torsten und Ralf nach ihm?
Ich muss zugeben, Torsten Ralf niemals live gehört zu haben. Aber seine Präsenz in Dresden muss beachtlich gewesen sein. Bei der Namensgebung meiner Söhne war dann aber auch ein bisschen Zufall dabei. Wenn man nach einem Namen sucht, geht man ja alle möglichen Versionen durch…
Ist es nicht unfair: das musikalische Dresden wird im „Turm“ nur von der Staatskapelle vertreten. Die Philharmonie, das Hausorchester des Kreuzchors, mit der Sie ebenfalls unzählige Male musiziert haben, kommt im Buch nur ein einziges Mal und dann nur nebenher vor.
Ich muss gestehen, den Turm nur in einigen Ausschnitten gelesen zu haben, und da war ich etwas enttäuscht. Die meisten Menschen, die in der DDR gelebt haben, mussten mit den Umständen zurechtkommen. Freunde erzählten mir von Tellkamps Verhalten bei der Buchvorstellung. Da muss er etwas seltsam aufgetreten sein und diese Themen beiseite gewischt haben.
Als jemand, der die DDR nur als Kind kennt, hat mir das Buch nach einem etwas beschwerlichen Einstieg aber auch viele interessante Details beschert. Gerade, was das öffentliche und private Dresdner Musikleben betrifft… Geben Sie dem „Turm“ von Tellkamp doch noch eine Chance?
Er hat ja einen Riesenerfolg mit seinem Buch gehabt. Vielleicht komme ich noch einmal dazu, einen Blick hineinzuwerfen.
Sie besitzen eine riesige Plattensammlung. Waren Sie früher auch so ein Technik-Freak wie manche Ihrer Künstlerkollegen? Ich denke an Karajan, an Gould, die von den neuen Medien und Möglichkeiten fasziniert waren…
Ich war eigentlich auch immer auf dem neuesten Stand der Technik, habe mir alles aus Japan mitgebracht. Sogar eine Sammlung Laser Discs, diese großen Silberscheiben, habe ich mal besessen; das habe ich inzwischen alles auf DVD umspielen lassen. Naja, heute bin ich vielleicht ein bisschen hinterher, ich nutze immer noch einen Camcorder. Ja, das hat mich schon interessiert, was man im Tonstudio alles machen konnte. Und dass man heute von einer Schellackplatte eine CD brennen kann, ist doch ein Riesenfortschritt.
Ihr halbes Leben – vierzig Jahre – haben Sie in der DDR verbracht. Ein Land, das in der Erinnerung langsam zu verblassen beginnt. Haben Sie sich manchmal seltsam gefühlt, wenn Sie von Gastspielreisen aus dem nichtsozialistischen Ausland zurückkamen?
Es hat mich schon berührt, vor allem im Umgang mit meinen Freunden. Es war ja immer schwierig, sich zurückzunehmen, wenn man zum Beispiel etwas Schönes erlebt hatte in der Schweiz oder in Österreich. Das meinen Freunden gleich in den schönsten Farben zu erzählen, hatte ich Hemmungen. Das ist für mich übrigens heute noch der entscheidende Punkt, weshalb die DDR unterging: die Leute waren eingesperrt! Man hat mich nur fahren lassen, weil ich ein wichtiges kulturelles Aushängeschild war. Das ging so weit, dass mich Herbert von Karajan beim Zentralkomitee freigeboxt hat für Aufnahmen in Westberlin. Da fühlten sich die Oberen sehr geehrt, dass da ein Herr von Karajan auf einen Mann aus der DDR zurückgriff… Als ich das erste Mal an der Met sang, verlangte die Künstleragentur, dass auf dem Programmzettel „Peter Schreier, DDR“ stehen sollte. Der damalige Chef der Met, Rudolf Bing, ein österreichischer Jude, schrieb zurück: Tut mir leid, das kann ich leider nicht machen; dann müssten wir auch „Birgit Nilsson, Schweden“ schreiben, und so weiter. Damit war die Sache erledigt.
Mit Ihren Reiseeindrücken: fragten Sie sich da nicht, ob diese Engstirnigkeit zuhause, diese ängstliche Mangelverwaltung, irgendwann implodieren würde
Na, so schlecht war unser tägliches Leben ja gar nicht. Ich habe hier in Dresden früh immer noch mein Butterbrötchen essen können. Und vergessen Sie nicht, zu DDR-Zeiten gab es mehr Freundschaften als heute. Kaum war die Wende da, waren die Freundschaften weg, weil jeder mit sich beschäftigt war.
In der DDR und der UdSSR nahm die klassische Musik im täglichen Leben einen recht hohen Stellenwert ein. Den Künstlern wurde Respekt entgegengebracht. Wie nahmen Sie das nach der Wende wahr?
Ich würde mal so sagen: das Starwesen ist eingezogen nach der Wende. Für die Opernhäuser ist das nicht gut. Die Ensemblemitglieder sind nämlich die Benachteiligten. Insofern hat sich das Ansehen der Künstler schon geändert, auch in den slawischen Ländern. Einer wie Swjatoslaw Richter, der bodenständig war, der hat seine Konzerte im Puschkin-Museum selbst arrangiert, er war mit seiner russischen Kultur regelrecht verwoben. Heute versteht man sich internationaler und ist weniger irgendwo zu Hause.
Ganz zu Anfang Ihrer Karriere gab es einen Moment, wo Ihre Lehrer Sie überforderten, vielleicht auch Sie selbst sich etwas überschätzt hatten. In der „Matthäus-Passion“ in der Kreuzkirche hatten Sie auf einmal keine Stimme mehr.
Dieser „Crash“ war schon sehr heilsam. Einmal, weil ich nicht mehr so sehr auf Stimmen von außen geachtet habe. Von Seiten Mauersbergers und seinem Freund Polster wurde mir geraten, kein Hochschulstudium, sondern ein Privatstudium zu machen. Das war eindeutig ein Fehler. An der Hochschule gehören viele andere Dinge dazu, die man im privaten Bereich gar nicht abdecken kann. Den dramatischen Unterricht zum Beispiel. Und Studenten gedeihen ja nur in Gemeinschaft. Man hat Konkurrenz, man weiß, wo man steht. Diese Richtung habe ich dann nach dem Crash eingeschlagen. Das war der einschneidendste Moment in meinem ganzen Sängerleben. Ich habe später nie wieder solche grundlegenden Entscheidungen treffen müssen.
Zum Schluss – was wünschen Sie sich eigentlich zum Geburtstag?
Ich möchte das Leben noch lange genießen. Aber das bestimme ja nicht ich, wie lange es noch geht. Es ist vorbestimmt, wann man diese Erde verlässt.