Seit Elena Beer laufen konnte, hat sie gesungen. Der Kantor ihrer Heimatgemeinde führte sie an Chormusik heran, für den Domkapellmeister in Würzburg übernahm sie bald Chorproben. Eher durch Zufall nahm sie an einem Meisterkurs des Dresdner Chorleitungsprofessors Hans-Christoph Rademann teil, fand Gefallen an seinem Unterricht und entschied sich, fortan in Dresden zu studieren. An der Musikhochschule vermisste sie die Dirigierpraxis – „ein normaler Student kann ja die Momente, in denen er während seiner Ausbildung vor einem richtigen Chor steht, an einer Hand abzählen“ – und suchte sich ihre Sänger fortan selbst. Assistierte bei den Proben des Universitätschores. Übernahm die Leitung der ökumenischen Kantorei der Weinbergskirche. Die Position der zweiten Chorleiterin des Polizeichores Dresden. „Als Schmankerl“, wie sie sagt, noch die Leitung des kleinen, feinen „vocalis ensemble dresden“, eines Chors junger Sängerinnen und Sänger der Dresdner Musikhochschule. Am Ende ihres Studiums leitete Elena Beer quasi jeden Abend Proben; die Konzerte am Wochenende kamen dazu. Nach ihrem erfolgreichen Studienabschluss bewarb sie sich für Chorassistenzen am Theater, bei freien Chören, bei Chören an Musikinternaten. Die meisten von ihnen winkten ab, viele schrieben nicht einmal zurück.
Eine Durststrecke nennt die Dirigentin die Zeit, nachdem sie die Hochschule in die Praxis entlassen hatte. „Mitte zwanzig darfst du sein am Ende deines Studiums, sollst aber bitte schon dreißig Jahre Berufserfahrung mitbringen. Ich hatte wirklich viel musiziert und dirigiert; aber das schafft man auch mit gutem Willen nicht“, sagt sie. „Wer kein Vitamin B hat und Erfolge bei Wettbewerben oder sonstige Stipendien vorweisen kann, wird nur selten überhaupt zum Vordirigieren eingeladen.“ Was also tun? „Hans-Christoph Rademann empfahl mir einmal bei einem Gespräch, meinen eigenen Chor zu gründen. So, wie er es vor dreißig Jahren selbst getan hat.“
Elena Beer entschied sich nach einem halben Jahr zu einem anderen Schritt, der ihr sehr schwer fiel: sie meldete sich für das Referendariat als Gymnasiallehrerin an. „Während des Studiums war ich so weit weg gewesen von dem schulischen Alltag, so tief im Business… Aber irgendwann fragte ich mich, was ich da eigentlich mache mit diesen Bewerbungen. Finanziell ist das Leben eines jungen Dirigenten ja eine Katastrophe, und ich wollte mich nicht länger an der Grenze zu Hartz IV mit meinen Laienchören herumschlagen. Jetzt unterrichte ich eben statt Sekretärinnen mit jahrelanger Gesangserfahrung und wackeren Polizisten, die gerade von Streife kommen, bayerische Sechstklässler...“
Vor allem das veränderte berufliche Selbstverständnis war es, das Elena Beer am Anfang zu schaffen machte. Musik, musste sie erfahren, ist am Gymnasium ein belächeltes Nebenfach: „Man ist von einem anderen Stern. Für die Kollegen war es nicht nachvollziehbar, wenn ich mich stundenlang in irgendwelche Noten vergraben habe… Und dass ich meine Dirigentenkarriere für den Lehrerberuf an den Nagel hängen wollte, verstand erst recht niemand.“ Inzwischen hat Elena Beer die Schule gewechselt, ab Herbst wird sie an einem Gymnasium in Hof unterrichten, an dem der Unterrichtsschwerpunkt auf Chorgesang liegt. Und sie hat gelernt, eine andere Art von Erfüllung zu finden bei der Arbeit mit den Schülern. Um das qualitative Niveau geht es nicht mehr, „eher darum, überhaupt Musik zu machen. Da hat man schon das Beste erreicht, wenn die Schüler singend und pfeifend aus dem Unterricht gehen und sagen: Frau Beer, das war cool!“
Nebenbei hatte sie diese Idee zu einem neuen Projekt, organisiert hat sie es im Alleingang. Schrieb Musiker an, suchte sich Sänger zusammen, schaute sich Kirchen aus… Alles sollte unentgeltlich sein, aus Freude am Musizieren geschehen. „Ich selbst zahle mir keinen Euro Honorar, es gehört viel Enthusiasmus dazu. Aber die Sänger singen ‚für mich‘, und ich gebe gleichzeitig jungen Musikern eine Chance, die sich ausprobieren wollen und dafür eine Plattform suchen.“ Von ihrem Lehrergehalt könne sie gut leben, hat Elena Beer kürzlich der Kommission des Deutschen Dirigentenforums gesagt. „Aber ich möchte eigentlich kein geregeltes Leben haben. Ich möchte Herausforderungen haben. Wenn ich ein Stipendium bekäme, oder wenn ein passender Chor um die Ecke käme, dann wäre das Lehrersein für mich für immer passé.“
30.8., 17 Uhr Bethlehemkirche: Gabriel Fauré / Messe de Requiem, Maurice Duruflé / Requiem. Projektchor und Instrumentalensemble aus Studenten der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ und des Landesgymnasiums, Leitung: Elena Beer. Eintritt frei, Kollekte erbeten
Eine Textfassung des Artikels ist am 28.8. in der Sächsischen Zeitung erschienen. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung, ihn hier erneut abdrucken zu dürfen.