Das restlos ausverkaufte Sonderkonzert der Staatskapelle war aus mehreren Gründen sehnlichst erwartet worden. Programmatisch galt es, das Jubiläum der Uraufführung von Richard Strauss‘ epochaler „Alpensinfonie“ vor 100 Jahren zu würdigen. Außerdem konnte erstmals der Pianist Menahem Pressler für ein Konzert mit der Staatskapelle gewonnen werden. Und schließlich war es das erste Konzert, in dem sich das Orchester in seinem neuen Konzertzimmer präsentierte.
Schon auf den ersten Blick wirkt dieses Zimmer, bei dem es sich vielmehr um eine dreiseitige, in verschiedenen Größen realisierbare Verschalung handelt, die den Bühnenraum nach den hinteren Seiten hin abschließt, ungemein anheimelnd. Die historisierende Innenausstattung der dritten Semperoper wurde beibehalten, mit kannelierten und im unteren Bereich vergoldeten Säulen als gliedernde Elemente. Ein Augenschmaus ist die neue Farbigkeit: Anstelle des kühlen Hellgrüns strahlt der Raum nun in einem warmen und mild ockergetönten Orange, das ein erstaunlich gut ausbalanciertes Pendant zum Zuschauerraum bildet. Auch der Platz für das Orchester wurde etwas vergrößert, so dass selbst die Riesenbesetzung der „Alpensinfonie“ gut gestaffelt und immer noch luftig und frei aufgestellt werden konnte. Und nicht zuletzt akustisch ist der neue Raum überaus gelungen. Man höre nur selbst!
Für den ersten Teil des Konzerts brachte Menahem Pressler Mozarts Klavierkonzert B-Dur KV 595 mit, zugleich Mozarts letztes Klavierkonzert überhaupt. Pressler, der inzwischen über 90-jährige Pianist, kann wohl als einer der nachdenklichsten und agogisch klügsten Gestalter am Pianistenparnass unserer Tage gelten. Seinen Mozart macht er uns zu einem Zeitgenossen: Mozart der Romantiker, ja, der Moderne! Anders als in der historischen Aufführungspraxis mit ihrer Betonung der Figuren und der Rhetorik, lotet Pressler an diesem Abend die Farben und Schattierungen der Töne aus. Sein Einsatz nach der Einleitung des Orchesters zeigte einen Musiker, der die Töne durchhört und sie nach verschiedenen Seiten hin offen hält. Man bemerkt seine immense Erfahrung als Kammermusiker – Pressler war Mitbegründer und lange Jahre Pianist des Beaux Arts Trios. Seine Hände gehen mit scheinbar geringstem Aufwand über die Tasten, alles ganz einfach, und seine musikalischen Äußerungen sind wie fragende Angebote an das Orchester: Nun, und was machen wir jetzt damit? Christian Thielemann und das Orchester nehmen diese Angebote dezent auf; es geht unbedingt ums Miteinander, und es entsteht mit dem Hinüber und Herüber der Motive in der überraschend dicht gestrickten Partitur streckenweise ein überaus gelungener musikalischer Dialog. Die Streicher tragen mit glatt polierten Flächen ihren Teil dazu bei. Als Zugabe auf den sehr warmherzigen, stehenden Applaus gab Pressler noch einen so hauchzarten wie nachdenklich-abgeklärten Chopin: zwei Minuten Atem anhalten!
Im deutlich abgesetzten zweiten Teil des Abends stand Richard Strauss’„Alpensinfonie“ auf dem Programm, deren Uraufführung durch die damalige Sächsische Hofkapelle sich dieser Tage zum 100. Mal jährt. Strauss hatte diese Tondichtung „für großes Orchester“ 1915 der Kapelle gewidmet, und das Stück ist seither ein Markenzeichen des Orchesters, an dem alle Chefdirigenten gemessen werden. Programmatisch wird darin neben einer naturmystischen die sportiv-touristische Perspektive einer Bergtour im Spiegel eines Tages dargestellt, mit Aufstieg, Gipfel, Abstieg und Ausklang. Auch Christian Thielemann ist seit langem mit diesem Stück vertraut, und in mehrerer Hinsicht dürfte es ihm besonders gut liegen. Zuletzt dirigierte er es mit der Kapelle in der vergangenen Spielzeit.
Von Beginn an bemerkte man die besondere Stunde, die hier zelebriert wurde. Schon der Beginn ließ aufhorchen, als über dem breit aufgefächerten pianissimo-Streichercluster das erste harmonisch eindeutige Motiv in den tiefen Bläsern erscheint, mit einem Registerwechsel, der unter die Haut ging! Umwerfend auch der Farbwechsel beim „Eintritt in den Wald“ und die glatten, scharf dissonanten Flächen „auf dem Gletscher“. Bei aller orchestraler Opulenz der Partitur fiel auf, wie konzentriert und letztlich unprätentiös die Aufführung doch geriet. Thielemann zeigte sich erfreulich bescheiden – weniger ist manchmal doch mehr! – und setzte ganz aufs präzise Zusammenspiel und den wirklich formidablen Klang sowohl der solistischen Einzelstimmen als auch des ganzen Orchesters. Der Höhepunkt des Stücks, das furiose „Gewitter“, mit Orgel, Donnerblech und Windmaschine, war so punktgenau und bei aller kompositorischen Komplexität in seinen Figuren gut durchhörbar und transparent. Allein beim langsamen „Abstieg“ und dem „Sonnenuntergang“ geriet etwas überhängendes Pathos ins Spiel, und die rhythmischen Figuren wurden leicht zerdehnt. Zum Schluss erschien wieder jener zauberhafte Streichercluster des Anfangs mit der Figur der tiefen Bläser, bevor alles in einem leisen Glissando in die Tiefe stürzte. Der Applaus nach dieser eindrücklichen Aufführung, die jene der letzten Spielzeit noch um einiges hinter sich zu lassen scheint, war zunächst verhalten, dann zunehmend gelöster.
Aron Koban