Wenn von menschlicher Dummheit die Rede ist, sollten die Argumente dagegen nicht dümmer sein als die Vorlage. Insofern ist jeder Disput ein riskantes Vergnügen auf hauchdünner Eisfläche. Womit wir bei den Menschen in Dresden wären. Hach, die alteingeborenen Dresdner und die Neu-Dresdner, was für ein Thema! Brüchiger noch als jedwedes Kristall. Eher werden da noch Frostscheite nachgelegt, als dass irgendein Eis zu schmelzen beginnt.
Obwohl gerade hier Grenzziehungen so gern mit kantig geradlinigen Köpfen vollzogen werden, scheint es ein gesteigertes Interesse an Cross-Over-Musik zu geben. Siehe Stadtfeste, Strietzelmärkte und Jazztage. Et cetera pp. Und so weiter und so fort.
Aber nicht immer kauft der Dresdner, was ihm vorgesetzt wird. Ob ihm nur das Geld und/oder die Zeit dazu fehlt, ob es womöglich auch am Programmangebot liegt – diese Fragen werden schlicht ignoriert. Wer mit den Ureinwohnern nicht so rasch handelseinig wird, sucht natürlich nach Ursachen. Wer einigermaßen von sich überzeugt ist, der weiß – oder behauptet –, dass es am eigenen Angebot ganz bestimmt nicht liegen kann. Das nennt man Selbstschutz, vulgo Borniertheit. Vor ein paar Jahren noch hieß es, ostelbische Eingeborene würden nur dann ein Jazz- bzw. Cross-Over-Konzert besuchen, wenn sie die Interpreten von Schallplatten aus DDR-Produktion kennen würden. Ohne Amiga keine Amigos. Was für ein peinlicher Kurzschluss.
Inzwischen scheint selbst dieser gedankenlose Blödsinn als untragbar aufgefallen zu sein. Flugs bedient man sich einer neuen Marotte, die kein Stückchen klüger ist: Jetzt heißt es, die Dresdner seien derart xenophob, also fremdenfeindlich, dass sie zu Konzerten schwarzer Musiker nicht kommen wollen. Fürchten sie sich gar vorm schwarzen Mann?
Da werden Argumente aufgefahren, die gegen ihre sicherlich gutgemeinte Absicht sprechen. Wenn Tom Gaebel gut verkauft ist, Marcus Miller aber nicht, liegt das gewiss nicht an der jeweiligen Hautfarbe, sondern eher am massentauglichen Publikumsgeschmack. Sowohl dem Frank-Sinatra-Gratulanten Tom Gaebel als auch dem Miles-Davis-Begleiter, der längst eine grandiose Solokarriere beschritten hat, seien ausverkaufte Konzerte gewünscht.
Gerne auch dem restlichen Verschnitt-Programm mit Konzerten aus Schmelz-Formaten aller Couleur. Die Behauptung „Ohne Migration kein Jazz“ mag ein wenig den Wortsinn verkennen, denn Migration umreißt die historisch bedingten Wanderungen der Menschheit; die Wurzeln des Jazz in der US-amerikanischen Sklaverei sind also ein klein wenig anders gewachsen.
Ohne Jazztage gäbe es diesen Herbst aber kein Yoga in der Kreuzkirche, kein „Swing & Dine“ im Gewandhaushotel – letzteres meint „Akustische Swingmusik“ gepaart mit Drei-Gänge-Menüs – ,was wollen Cross-Over-Anhänger also noch mehr? Etwas weniger Schwarz-Weiß-Malerei möglicherweise? Bunt aufgepinselt wird aber auch: Beethovens „Ode an die Freude“ soll als Mambo schikaniert werden – und dann ist die Welt wirklich gerettet?
Bis zum nächsten Freitag –
Michael Ernst