„Um den Krieg gegen den Kaiser zu gewinnen, müssen Sie mit dem Kaiser Frieden schließen; so ist das Leben.“ So ist es bis heute, wird mit chinesisch-russisch-türkischen „Vorzeige-Demokratien“ Diplomatie gespielt, bis mal wieder ein kriegerisches Kartenhaus blutig zusammenpappt. Und die nächste Lieferung von Soldaten und / oder Tornados fällig wird. Bei Menschenrechtsverletzungen – eigenen oder von „Bündnispartnern“ – wird so lange Blinde Kuh gespielt, wie man sich oder den eigentlich ja abgrundtief verhassten Partner eben noch im Sattel halten kann.
Brecht-Schüler Peter Hacks hatte die schräge Menschen-Macht-Dialektik beizeiten durchschaut und sie märchenhaft umgesetzt. Beispielsweise in seiner Parabel »Der Schuhu und die fliegende Prinzessin«, die vor gut einem halben Jahrhundert erstmals erschien. Vor genau vierzig Jahren ist das Märchen in Dresden als Oper uraufgeführt worden, komponiert von Udo Zimmermann (Jg. 1943). Ein Stück Musiktheater, das nach seinem frühen Erfolg – nur ein knappes Jahr später erfolgte die westdeutsche Erstaufführung in Darmstadt – viel zu sehr in Vergessenheit geriet.
Während seiner maßstabsetzenden Intendantenzeit an der Oper Leipzig hatte der Dresdner Komponist und Dirigent seinen »Schuhu« noch einmal bearbeitet und ihn 1995 in gekürzter Fassung zu den Salzburger Festspielen herausbringen lassen. Damals führte Michael Heinicke die Regie im dortigen Mozarteum, Elisabeth Clarke schuf die Choreografie; wenig später wurde diese Produktion auch in Leipzig gezeigt. Seither ist es still geworden um den Vogelmenschen, der einer fliegenden Prinzessin verfällt und sich über jeden politischen Machtpoker hinwegsetzt.
Umso verdienstvoller die Tat der Leipziger Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“, diese Oper nun als Studioproduktion wieder ins rechte Licht zu rücken. In den vergangenen Tagen wurde das Projekt mehrfach in der sogenannten Black Box der Hochschule gezeigt. Das Publikumsinteresse war immens, auch der von Krankheit gezeichnete Komponist ließ es sich nicht nehmen, von Dresden aus noch einmal in seine einstige Wirkungs-Stadt zu reisen. Es wurde ein Wiedersehen nicht nur mit dem eigenen Werk, sondern auch mit zahlreichen früheren Weggefährten und Bewunderern.
Die aktuelle »Schuhu«-Produktion hat Regisseur Matthias Oldag in eigener Ausstattung realisiert. Er nutzte die knappe Salzburger Fassung und brachte damit die Allgemeingültigkeit dieses Stoffs auf den Punkt. Natürlich war das Stück seinerzeit eine deutliche Anspielung auf die verkrusteten Zustände der DDR – und ebenso natürlich hat es, wenig überraschend, seine Aktualität bis heute behalten. Duckmäusertum und in den Köpfen festgefahrene Grenzen, das Unverständnis für freie Liebe und insbesondere für menschliche Andersartigkeit – es hat sich damals wie heute an den Zuständen gerieben. Die unbedingte Glückssuche von Schuhu und Prinzessin, welche Chance hätte sie denn in unserer hasserfüllt gewaltbereiten Welt?
Das Fremd- und Ausgegrenztsein eines „bunten Vogels“, die Borniertheit zweier zerstrittener „Adels“-Brüder, die ihrem Zwist ganze Armeen und Landstriche opfern, es scheint unmittelbar heutig zu sein. Die anspielungsreiche Musik Udo Zimmermanns, die hier in seiner Fassung für zwei Klaviere und Horn erklang (Musikalische Leitung Damian Ibn Salem), sie erfindet das Musiktheater nicht neu, steckt aber voll Witz und Herausforderung. Das Sänger-Darsteller-Ensemble erwies sich dem gewachsen, insbesondere Johanna Knauth als Prinzessin spielte und sang mit ihren waghalsigen Melismen betörend, auch Philipp Jekal als klangstarker Schuhu agierte höchst adäquat. Lissa Meybohm gab raffiniert eine kundig ambivalente Spielleiterin, die weiteren Ensemblemitglieder schlüpften in raschen Wechseln in und aus ihren Rollen – da gab es jede Menge Spannung sowohl in musikalischer als auch in spielerischer Hinsicht. Komponist Udo Zimmermann zeigte sich von dieser Wiederbegegnung mit seiner Schöpfung sehr beeindruckt.
Nur die eigentlichen Adressaten eines so mahnenden Kunstwerkes werden sich weder von Schuhus noch von fliegenden Prinzessinnen und schon gar nicht von den so stimmigen Abbildern ihrer eigenen Unbedarftheit erreichen lassen; nicht damals, nicht heute.