Es gibt inzwischen keinen Zwist mehr um die Teilnahme der Sächsischen Staatskapelle bei den Osterfestspielen Salzburg. Auch die Nörgler von einst haben erkannt, wie wichtig solche Sendboten aus Sachsen gerade jetzt sind, und sie durften einsehen, dass Dresdens Kulturleben dennoch nicht eben darbt.
Die Osterfestspiele Salzburg sind ein höchst elitäres Musikfest. Dieses Jahr stehen sie ganz im Zeichen im William Shakespeare – ist das ein Widerspruch? Mitnichten, der große Dramatiker hat zwar keine Oper geschrieben, viele seiner Stücke mutierten aber später zu bewegendem Musiktheater. Zum 400.Todestag des großen Dramatikers sollte bei den Osterfestspielen, den vierten unter Beteiligung der Sächsischen Staatskapelle, den Einflüssen seiner Literatur auf die Musik nachgespürt werden. Also gab‘s auch eine Shakespeare-Oper zum Auftakt: »Otello« von Giuseppe Verdi. Nach den großen Erfolgen mit Straussens »Arabella« 2014 und der Doppelpremiere von Mascagnis »Cavalleria rusticana« und Leoncavallos »Pagliacci« im vergangenen Jahr machte sich nach dieser Premiere einiges an Enttäuschung breit.
Eine dröge, nichtssagende Inszenierung dieser spannenden Vorlage durch den Franzosen Vincent Boussard, viel pure Ästhetik im Bühnenbild von Vincent Lemaire und reichlich Schick in den Kostümen von Christian Lacroix – Opulenz fast ohne Ende. Als sollte der Blick davon abgelenkt werden, das auf der Bühne nichts, aber auch gar nichts erzählt worden ist. Da wurde die Dramatik des Menschenkenners Shakespeare gleichsam verraten – und die Musik von Verdis Spätwerks geriet zu einem teutonisch schweren Orkan, dem trotz exzellenten Orchesterspiels kaum noch Italianità anhaftete. Dass zur Premiere im Großen Festspielhaus lautstarke Buhrufe ans Inszenierungsteam gingen, konnte also kaum überraschen. Wohl aber die Buhs, die José Cura für die Gestaltung des Titelparts einstecken musste. Über weite Strecken wirkte der Tenor recht angestrengt, so richtig zu glänzen verstand er erst zum dramatischen Schluss. Da war es um seinen Venezianer Otello und dessen Gattin Desdemona schon beinahe geschehen, die Intrige von Iago sollte gleich darauf in Eifersucht, Mord und Selbstmord gipfeln.
Den Iago hat Carlos Álvarez sehr überzeugend verkörpert; die Entdeckung des Abends war aber für viele Premierenbesucher Dorothea Röschmann als Desdemona. Sie bewältigte diese schwierige Rolle höchst souverän. Sehr überzeugend waren in kleineren Partien auch Christa Mayer und Georg Zeppenfeld vom Ensemble der Semperoper; Christian Thielemann navigierte die Staatskapelle freilich oft viel zu laut.
Das Orchester bestach jedoch in zwei Orchesterkonzerten, die ebenfalls musikalisch mit Shakespeare-Einflüssen durchsetzt. Unter Gastdirigent Vladmir Jurowski gab es Carl Maria von Webers »Oberon«-Ouvertüre, passend dazu Felix Mendelssohn Bartholdys Vorspiel zum »Sommernachtstraum« sowie – Überraschung! – die 1992 entstandene Sinfonia Nr. 8 von Hans Werner Henze. Die bezieht sich direkt auf das zauberhafte Liebesspiel von Oberon, Puck und Titania und wurde dem Publikum durch eine sehr charmante Einführung des Dirigenten verständlich gemacht. Keine Frage, dass es großen Applaus dafür gab.
Den erhielt auch Christian Thielemann für Peter Tschaikowskis Fantasie-Ouvertüre »Romeo und Julia«. Dieser russisch adaptierte Shakespeare-Klassiker stand jedoch ein wenig im Schatten von Franz Liszts »Les Préludes« und vor allem vom Tripelkonzert Ludwig van Beethovens. Denn dafür konnte mit Anne-Sophie Mutter, Lynn Harrell und Yefim Bronfman eine erstklassige Solistenriege gewonnen werden. Große Namen mag man bekanntlich in Salzburg.
Frei nach Shakespeare schuf Manfred Trojahn relativ kurzfristik ein Kammerstück zu vier Shakespeare-Figuren, nämlich Julia, Ophelia, Titania und Lady Macbeth; dieses Auftragswerk der Osterfestspiele hat bereits deren neuer Intendant Peter Ruzicka initiiert.
Gänzlich frei von Shakespeare gelangen Thielemanns Chorkonzert mit Beethovens »Missa solemnis« sowie das Salzburg-Debüt des Dresdner Kreuzchores, der die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach aufgeführt hat. Die Knaben um Kreuzkantor Roderich Kreile ernteten dafür den wohl größten Beifall der diesjährigen Festspiele.
Summa summarum war 2016 ein etwas durchwachsener Jahrgang der Osterfestspiele Salzburg. Einer, der bereits jetzt schon leicht überschattet war von den Ankündigungen zum nächsten Jahr. Dann wird dieses durch Herbert von Karajan gegründete Musikfest 50 Jahre alt, was Anlass für ein gemeinsames Stelldichein der Berliner Philharmoniker, der Wiener Philharmoniker und natürlich der Sächsischen Staatskapelle sein soll. Das gab es noch nie – und auch die Rekonstruktion von Wagners »Walküre« aus dem Jahr 1967 ist ein deutlicher Blick zurück und nach vorn.
Titelfoto: Wolfgang Lienbacher